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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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Horizont, keine Natur, kein Leben. Das Resultat sind unkontrollierte, deformierte Seelenleben nahezu aller Bunkermenschen. Es gibt hier Angstzustände und Phobien, die wir Wissenschaftler erst neu benennen mussten.« Kurz hatte er damals hochgeblickt und sein zwölfjähriges Gegenüber mit einem kühlem Blick bedacht. »Wenn ich die Wahl hätte – ich würde so rasch wie möglich von hier verschwinden.«
    Und das hatte Rulfan bald darauf getan.
    Er kehrte mit seinen Gedanken in die Gegenwart zurück.
    Grimes und Eve plauderten nach wie vor über eine allmähliche Öffnung der Bunkergemeinschaften. Er spürte einen kleinen Stich irgendwo in der Brust. Mit ihm redete sie niemals so leidenschaftlich. Wollte sie etwas von Grimes? Fühlte sie sich zu ihm hingezogen?
    »Tut mir Leid – ich komme wohl zu spät«, sagte eine dunkle Frauenstimme hinter ihm. »Aber diese Algen- und Farnproben aus Meeraka sind einfach zu faszinierend. Ich bin mir sicher, dass wir in punkto Ganzjahres-Resistenz kräftig dazulernen können. Und wenn ich weiter dran bleibe, werde ich Salisbury Erkenntnisse in punkto Medizin liefern können, die sich gewaschen haben. Wenn mich in punkto Arbeit niemand aufhält.«
    Kylie Buchanan, Octavian für Wachstum, Ernährung und Familienplanung. Mit ihren hastig hervorgesprudelten Worten hatte sie sich bereits bestens vorgestellt. Ihre Lieblingsphrase, die sie in jedem Satz zumindest einmal verwendete, war »in punkto«. Und ihre hervorstechendsten charakterlichen Eigenschaften waren Selbstherrlichkeit und Engstirnigkeit.
    Sarah Kucholsky verdrehte die Augen und wandte sich dann ab. Grimes unterbrach das Gespräch mit Eve, sagte aber kein Wort.
    »Das… freut mich«, meinte Rulfan. »Um so schöner, dass Sie trotzdem die Zeit gefunden haben, Eve und mich im ›Nest‹ zu empfangen,«
    Was widerten ihn diese diplomatischen Floskeln an! Bei seinen Freunden in Coellen hätte vermutlich irgendjemand
    »Halt’s Maul!« gesagt und die Sache wäre erledigt gewesen.
    Hier jedoch, in dieser verkappten Irrenanstalt, musste man mit größtmöglicher Toleranz auf jedermanns Eigenheiten eingehen.
    Salisbury hätte sonst nie eine Chance zum Überleben gehabt.
    Quietschend öffnete sich eine Türe. Major Russ Saint Neven kam hereingestolpert, hinter ihm Maeve McLaird, das Haar noch ungeordneter als sonst.
    »Entschuldigen Sie meine Abwesenheit; ich hatte mit meiner Kollegin noch etwas Ernstes zu klären.«
    »Klären nennst du dein zehnminütiges Dauerversagen?«, fiel ihm Maeve sofort ins Wort. »Das war weder abgeklärt, noch irgendwie erklärbar.«
    Der Major lief schon wieder puterrot an. »Entschuldigen Sie uns bitte noch einen Moment!«, sagte er, packte Maeve am Arm und schob sie in das Büro, aus dem sie gekommen waren, zurück.
    »Heute haben sie wirklich einen schlechten Tag«, sagte Rulfan achselzuckend zu Eve, während die drei Octaviane das Thema einfach ausschwiegen.
    Er wünschte sich, dass er auch einmal einen so »schlechten Tag« gemeinsam mit Eve verbringen durfte.
    ***
    »Was hältst du von ihnen?«, fragte Rulfan, nachdem sie das
    »Nest« verlassen hatten.
    Die wenigen Informationen über den Daa’muren-Stirnreif hatten ihn nicht sonderlich interessiert, und es hatte auch keine berauschenden neuen Erkenntnisse gegeben. Mittlerweile war er sich sicher, dass das Ding, das seine Geheimnisse einfach nicht preisgeben wollte, unbedingt den Hydriten übergeben werden musste.
    Wulf sprang an ihm hoch und leckte ihm über das Gesicht.
    »Von den Octavianen?« Eve schloss die Knöpfe ihrer grauen Londoner Uniform. »Ich habe mir, ehrlich gesagt, noch kein genaues Bild machen können.«
    »Und diese ganzen Profilierungsneurosen, der übersteigerte Sexualdrang, die Phobien, die Macken…?«
    Eve lachte laut auf. »Du meine Güte! Manchmal bist du ganz schön naiv. Daran wirst du keine Beeinflussung durch Daa’muren festmachen können. Was glaubst du denn, wie es in London zugeht? Findest du es etwa normal, dass sich einer der prominentesten Octaviane eine Comic-Figur namens Micky Maus als E-Butler hält? Ha!« Sie wurde wieder ruhig und nachdenklich. »Nein – das, was wir da drinnen geboten bekommen haben, ist bloß das Resultat von fünfhundert Jahren Isolation. Neurosen, wie ich sie hier gesehen habe, sind heutzutage so weit verbreitet, dass sie schon wieder als normal gelten.«
    »Du meinst, dass tatsächlich jeder Einwohner unserer Communities psychische Defekte aufweist?«
    »Ja.«
    »Selbst

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