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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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drinnen nichts zu suchen.«
    Zögernd akzeptierte Rulfan. Die anstehende Prozedur war Wulf ohnehin nicht zumutbar.
    Er und Eve hinterließen ihre Fingerabdrücke auf einem Wärmefeld. Danach kam die Überprüfung der Retina, eine DNA-Analyse, das eher formale Abtasten ihrer Körper auf Waffen und dann – die Hölle für Rulfan: Ein Marsch in aller Nacktheit durch den Dekontaminationsgang.
    Rulfan hielt den Blick starr geradeaus gerichtet, während sie den aseptischen Nieselregen durchquerten. Er bemühte sich, nicht an die neben ihm gehende Eve zu denken. Wie errechnet sich die Euler’sche Zahl? Er hörte ihre Fußsohlen auf den kalten Boden klatschen. Wie erklärt sich das Paradoxon von Goedels Katze? Er hörte das leise Reiben ihrer Oberschenkel aneinander. Was ist Unendlichkeit, und wo endet sie? Ihr flacher Bauch, muskulös und leicht gebräunt, die Muskelstränge, die sich darunter andeuteten…
    »Jetzt geht der Scherz allerdings zu weit, Rulfan!«, stieß sie böse aus, kurz bevor sie das Ende des Ganges erreicht hatten.
    Empört, ja, wütend war sie.
    »Ich habe doch nichts getan…«, begann er kläglich – und ziemlich schuldbewusst.
    »Dieses Nichts, von dem du redest, ist immerhin so gut sichtbar, dass du es nicht einmal mit beiden Händen verdecken kannst!«, fuhr sie ihn an. Und, ruhiger geworden, setzte sie hinzu: »Hör mal, mein Freund: Wir arbeiten zusammen. Streng genommen bist du sogar mein Patient. Ich verbuche diese körperliche Irritation vorerst einmal in der Schublade ›kurzfristige Verwirrung‹. Aber ich empfehle dir, dich in Zukunft besser im Zaum zu halten. Wir tun unsere Arbeit – und das war’s. Haben wir uns verstanden?«
    »Ja«, antwortete Rulfan kleinlaut und trat erleichtert aus dem Gang.
    Er hatte sich in Eve verliebt.
    ***
    Major Russ Saint Neven erwartete sie. Er war als Militär das Verbindungsglied zu den Forschern und zudem für Produktion und technisches Gerät zuständig. Mit seinen knappen einssiebzig, den abgehackten Bewegungen und dem starren Blick erinnerte er Rulfan an einen Singvogel aus der Zeit vor dem Kometen.
    An einen Sittich, dachte Rulfan.
    Sarah Kucholsky stand ebenfalls bereit, nervös und ungeduldig. Zeit war ihr während der intensiven Arbeitsschichten das kostbarste Gut, und sie verteidigte es oftmals mit mürrischen oder zynischen Bemerkungen, die die meisten Störenfriede rasch verschreckten. In ihren Augen waren alle Menschen Störenfriede, die sie von der Forschung abhielten.
    Im Gegensatz dazu stand ihr puppenhaftes Gesicht, das sie harmlos und naiv wirken ließ.
    »Macht schon!«, sagte sie unwirsch.
    Sie marschierte vorneweg, ohne sich umzudrehen. Rulfan und Eve folgten, Saint Neven bildete das Schlusslicht.
    Es ging vorbei an engen Kammern, in denen einzelne Forscher unter absolut sterilen Bedingungen Nahrungsmittel rückzüchteten. Über mehr als fünfhundert Jahre tiefgefrorene Proben wurden mit Gemüse- und Obstmustern aus Asien oder Nordamerika gekreuzt, aber auch mit mutierten Tofanen oder Brabeelen aus der unmittelbaren Umgebung Salisburys.
    Sozusagen als Nebenprodukt der Kontinente überspannende Allianz entstanden Produkte, die einfachen Farmern in naher Zukunft größere Ernteerträge garantieren sollten.
    »… dort links sind die Büros der wissenschaftlichen Octaviane, weiter voraus die Schleuderkammern für die Herstellung des Serums.« Sarah Kucholsky redete schnell. Zu schnell. Rulfan konnte sich nicht alles merken. Sie machte einmal mehr deutlich, dass sie die beiden Gäste nur als notwendiges Übel betrachtete, ihnen aber keinesfalls ein überflüssiges Wort schenken wollte.
    Rulfan war oft hier unten gewesen. Öfter als die Octaviane und Sicherheitsbeamten es wussten. Auch wenn die Vorkehrungen von Sir Bryant Vaughn vor nunmehr fast vierzig Jahren brillant gewesen waren – für den jugendlichen, mit allen Wassern gewaschenen Rulfan stellten sie kein großes Hindernis dar.
    Doch es hatte sich viel geändert. Die Laboratorien waren ständig im Umbau. Alte Projekte wurden abgeschlossen oder abgebrochen, neue begonnen. Forschungskapazitäten mussten verschoben werden, ebenso die Arbeitsplätze. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Die mehr als achtzig Mitarbeiter waren meist gebietsübergreifend ausgebildet.
    Fachidiotie war hier verpönt. Ein Verdienst des strengen Regiments der Kucholsky, aber auch Ergebnis bedingungsloser Disziplin, der während eines halben Jahrtausends unter der Erde alles andere untergeordnet gewesen

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