1283 - Der Mörder-Mönch
nicht, sie lag, und genau das bereitete Esmeralda ein Problem.
Jemand hatte den Schrank geöffnet, sich für die Bücher interessiert, die Tür dann verschlossen, aber den Schlüssel nicht wieder in die richtige Position gebracht.
Esmeralda hatte den Beweis bekommen. Es war jemand hier unten gewesen, der sich für die Bücher interessiert hatte. Und er hatte sie nicht informiert, obwohl es abgesprochen war, und darüber ärgerte sich Esmeralda. Das war noch nie passiert. Hier lief alles normal. Niemand brauchte sich zu verstecken, und die Bibliothek hier unten war bestimmt kein Heiligtum.
Sie verstand es nicht und wurde immer misstrauischer. Von ihren Mitschwestern hatte sie niemanden in Verdacht, also blieb nur eine Möglichkeit. Es war jemand hier unten gewesen, der nicht zum Kloster gehörte.
Fast hätte sie über sich selbst gelacht. Bei allem Respekt, so etwas war noch nie in all den Jahren passiert. Und wer hätte sich auch einschleichen sollen, um hier unten den Kellerraum zu durchwühlen?
Wer so etwas wollte, der konnte sich anmelden, und man würde ihm nicht verweigern, die Bibliothek zu besichtigen.
Die Nonne blieb vor der Glastür stehen und schaute auf die dahinter liegenden Bücherrücken. Ihr fiel etwas auf, aber sie wusste nicht genau, was es war. Außerdem hatte sich auf dem Glas eine Schmutzschicht gebildet, die einen genauen Blick nicht zuließ.
Esmeralda wartete nicht mehr lange, drehte den Schlüssel im Schloss und zog die Tür auf. Jetzt sah sie die Bücher deutlicher. Es waren die alten und wertvollen Werke, mal mit breiteren, mal mit schmaleren Buchrücken versehen. Nichts war verschoben, nichts stand vor und nichts fehlte eigentlich.
Die Nonne schüttelte den Kopf. Sie hatte sich beim ersten Blick geirrt. Es fehlte doch etwas, und zwar genau in der Mitte. Dort hatte ein schmales aber sehr wichtiges Buch mit dunkelrotem Einband gestanden, dessen Inhalt die Nonne kannte, weil sie das Buch schon oft gelesen hatte und es ihr Furcht eingejagt hatte.
Jetzt war es weg! Mitgenommen, gestohlen, wie auch immer. Jemand hatte sich sehr für die Geschichte des Roten Mönchs interessiert Nur wer? Eine ihrer Mitschwestern? Das war möglich. Dann aber hätte Esmeralda Bescheid bekommen. Nein, nein, das glaubte sie nicht. Es musste eine andere Erklärung geben.
Und wieder kam ihr der Fremde in den Sinn! Der unbekannte Dieb und Einbrecher, der heimlich eingedrungen war, um ein bestimmtes Buch zu stehlen, damit er aus ihm wichtige Informationen entnehmen konnte. Das alles kam der Sache schon näher, obwohl die Nonne keine Beweise besaß.
Sie würde bis zum anderen Morgen warten und dann ihre Mitschwestern fragen. Sie war auch sicher, nicht angelogen zu werden, aber davon hatte sie jetzt nichts, und dieses Vorhaben konnte sie auch nicht beruhigen.
Ihr Puls raste. Sie begann zu schwitzen. Es war ein Gefühl wie eine Warnung, und mit einer ängstlichen Bewegung zog sie die Schultern hoch. Auf einmal wusste sie Bescheid. Es kam wie eine blitzartige Erleuchtung über sie, und zugleich konnte sie es riechen. Sie war nicht mehr allein!
Der Gedanke war ihr gekommen, obwohl es keinen sichtbaren Beweis dafür gab. Und doch war es eine Tatsache. Vielleicht hatte sie doch etwas wahrgenommen, ein sich bewegender Schatten in der Glasscheibe. Nur ein Huschen, mehr nicht.
Und dann der Geruch. Es war anders. Etwas war hereingeströmt. Alt vielleicht und auch noch feuchter und auch nach Wald riechend.
Esmeralda hielt es nicht länger aus. Sie wollte endgültig Bescheid wissen, auch wenn es ihr schwer fiel, aber was sein musste, das musste auch getan werden.
Sie drehte sich um. Die Nonne schaute nach vorn und hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Vor ihr stand ein Mann! Es war eine Tatsache und keiner der alten Klosterwitze, die man sich so gern im leicht angetrunkenen Zustand an irgendwelchen Stammtischen erzählte. Dieser Mann war keine Fiktion. Es gab ihn. Er war vorhanden, und er bewegte sich nicht.
Er musste eine der schattigen Stellen verlassen haben, in der er in aller Ruhe hatte abwarten können.
Jetzt aber war er ins Licht getreten und sehr deutlich zu erkennen, als würde er bewusst ausgeleuchtet.
Der Mann war eine düstere Erscheinung. Das lag zum größten Teil an seiner Kleidung, die aus einer dunklen Hose und aus einem schwarzen Mantel mit aufgesetzten Taschen bestand. Auf dem Kopf trug er einen Hut, dessen Krempe wellenförmig gebogen war und in Höhe der Stirn einen
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