1283 - Der Mörder-Mönch
leichten Knick nach unten zeigte, so dass nicht alles von seinem Gesicht zu sehen war. Da gab es viel Schatten, und dieser Schatten setzte sich auch im unteren Teil des Gesichts fort, so dass auch dort nicht viel zu erkennen war.
Esmeralda hatte die Luft angehalten. Der Schreck hatte sie dazu getrieben, und jetzt blies sie den Atem wieder aus und stöhnte dabei leise auf. Es war eine Reaktion auf den ersten Schreck. Nur konnte sie nicht behaupten, dass sie sich jetzt besser fühlte. Nicht allein die Tatsache des Eindringens dieses Mannes in die Bibliothek bereitete ihr Probleme, dieser Mensch ließ sie auch innerlich erzittern.
Er war da, und er strahlte etwas aus, das die Nonne nicht in Worte fassen konnte. Es war ihr zumindest zuwider. Es stand gegen alle Regeln, denen sie sich zugehörig fühlte. Sie hielt sich auf der richtigen Seite auf, sie wusste sehr genau, wem sie ihr Leben geweiht hatte, und nun stand jemand vor ihr, der genau das Gegenteil dessen ausstrahlte.
Da hatte sie die Erklärung. Es war etwas Böses. Etwas Dunkles, so etwas wie ein Stück Hölle, das in diese Welt transportiert worden war, um sich der anderen Seite zu zeigen und auch eine entsprechende Macht zu dokumentieren.
Den Fremden anzusehen, bereitete Esmeralda fast körperliche Schmerzen, und sie deutete auch einige Male ein Kopfschütteln an, was den Eindringling nicht im Mindesten beeinflusste, denn er sagte kein einziges Wort.
Die Nonne konnte nicht länger schweigen. Die Frage drang im Flüsterton über ihre Lippen. »Wer sind Sie?«
Der Mann lachte. Es gefiel Esmeralda nicht. Das Lachen klang widerlich und steckte voller Häme. Er wusste genau, was er wollte, aber Esmeralda wusste es nicht, und sie fühlte sich allein von der Anwesenheit dieser verdammten Gestalt bedroht.
»Was tun Sie hier?«
»Das geht dich nichts an. Nimm mich hin. Man muss mich hinnehmen, so wie du auch deinen Gott hinnimmst.«
Esmeralda erschrak, weil ihr ein schrecklicher Verdacht gekommen war. »Nein, sag nicht, dass du der Leibhaftige bist, der sich bei uns eingeschlichen hat?«
Die recht dünnen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Es kann sein, dass ich der Leibhaftige bin. Der Teufel ist doch überall, nicht wahr? Sagt ihr das nicht immer? Steckt der Teufel nicht oft im Detail? Solche Sprüche gibt es, fromme Frau. Ihr kennt sie. Ihr lebt danach. Ihr braucht einen Urfeind, und der Teufel freut sich über diese Konstellation.«
»Sie sind nicht der Satan?«
»Nein? Warum nicht?«
»Ich weiß es. Ich spüre es. Sie sind es nicht, aber Sie sind dem Bösen zugetan, das stimmt. Warum sind Sie hier eingedrungen und haben das Buch gestohlen?«
»Weil es wichtig für mich ist.«
»Warum?«
»Du bist zu neugierig, fromme Helene.« Er lachte, als er den Namen erwähnte. »Ich mag es einfach nicht, wenn man zu neugierig ist, und das werde ich dir abgewöhnen.«
Esmeralda war nicht dumm. Sie ahnte, was ihr bevorstand. Wenn jemand keine Zeugen akzeptierte, konnte das nur bedeuten, dass er die vorhandenen ausschalten musste. Und nicht wenige Menschen gingen dabei über Leichen.
Und doch drang keine Angst in ihr hoch. Keine, die sie schreien ließ. Sie vertraute auf diese fromme Stätte, und sie sagte es dem Eindringling ins Gesicht. »Du wirst hier nicht siegen! Nicht hier. An diesem Ort hat das Böse nichts zu suchen.«
»Tatsächlich nicht? Dann pass mal auf!« Er hatte sich bisher kaum bewegt, doch das änderte sich, denn mit einer blitzschnellen Bewegung räumte er den Tisch zur Seite und sorgte zudem dafür, dass noch einer der beiden Stühle kippte.
Esmeralda sah die Gestalt wie ein gewaltiges Ungeheuer auf sich zufliegen. Sie konnte den Schrei nicht unterdrücken und schlug in ihrer Panik hastig einige Kreuzzeichen.
Der andere lachte nur. Hart schlug er zu! Die Nonne wurde an der Schulter getroffen. Sie prallte gegen den Schrank mit den Glastüren. Es war ein Wunder, dass der Einsatz nicht zu Bruch ging. Die Scheibe zitterte zwar ein wenig, aber sie hielt dem Druck stand.
Ein zweiter Schlag schleuderte Esmeralda zu Boden. Esmeralda hatte Glück, dass sie nicht so hart aufprallte, denn sie war dabei am Regal entlang geglitten. Trotzdem taten ihr die Knochen weh, und sie sah den Bösen wie einen übergroßen Vogel aus der Urzeit vor sich stehen.
Er trug noch immer seinen Hut. Er grinste diabolisch. Jetzt merkte Esmeralda, was es bedeutete, Angst zu haben.
Der Fremde ließ sich fallen. Dabei gelang der Nonne ein Blick in die Augen. Sie
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