1283 - Der Mörder-Mönch
trotzdem sah ich wieder die Frau von vorhin. Sie packte Kisten in den Kofferraum ihres Autos, richtete sich auf und nickte mir wieder zu. Jetzt blieb ich stehen.
»Soll ich Sie mitnehmen?«, fragte sie. Ich war leicht überrascht, aber auch ein wenig misstrauisch. Ich hatte ja nichts dagegen, von einer hübschen Frau angesprochen zu werden, aber ich kannte auch meine Feinde, die mit jedem Trick arbeiteten. Da musste ich schon eine gewisse Distanz bewahren.
»Pardon, aber warum wollen Sie mich mitnehmen? Sie wissen ja nicht, wohin ich muss.«
»Oh, das weiß ich schon.«
»Da bin ich gespannt.«
Ihr Lächeln wurde breit. »Zufällig wohnen wir im gleichen Haus. Ich bin vor knapp einem Monat eingezogen und habe Sie schon einige Mal gesehen. Deshalb.«
»Das ist natürlich etwas anderes.«
Sie streckte mir die rechte Hand entgegen. »Ich heiße Jill Cameron.«
»Freut mich. John Sinclair.«
»Tja«, sagte sie und hob die Schultern an. »Mein Angebot steht noch immer.«
***
Als ich das Haus betrat, schwitzte ich am gesamten Körper. Es war einfach zu schwül. Die kurze Strecke schon hatte mir den Schweiß aus den Poren getrieben.
Die relative Kühle des Hauses nahm mich auf. Der übliche Blick zur Hausmeisterloge, hinter der sich die Gestalt des Mannes abmalte, der plötzlich winkte. Ich ging zu ihm. Er kam mir bereits auf halbem Weg entgegen und wedelte mit einem Umschlag, den er in der rechten Hand hielt.
»Ist der Brief für mich?«
»Ja, Mr. Sinclair. Der ist für Sie abgegeben worden.«
Ich nahm ihn an mich. Schwerer als normal war er nicht, nur etwas größer als ein normaler Umschlag.
Ich tastete mit den Fingern nach, konnte aber vom Inhalt nichts spüren. Das heißt, in dem Umschlag verbarg sich ein normales Blatt Papier.
Dennoch war ich misstrauisch und fragte: »Wer hat diesen Brief denn gebracht?«
»Ein Junge.«
»Also nicht die normale Post?«
»Nein. Er gab ihn ab und rief nur für Mr. John Sinclair. Dann war er sofort wieder weg.«
»Danke.«
»Ich kannte den Jungen auch nicht.«
»Das habe ich mir gedacht, mein Lieber. Wie ich Sie kenne, hätten Sie es mir längst gesagt.«
»Stimmt.«
»Nochmals danke, und dann bis später mal.«
»Schönen Abend, Mr. Sinclair.«
Ich steckte den Brief in die Seitentasche meiner hellen Jacke und betrat den Lift. Die Übergabe war schon recht seltsam gewesen. So etwas sah man ja auch öfter im Kino, und ich ging davon aus, dass es kein normaler Brief war. Besser gesagt, er war von keinem meiner Freunde oder Bekannten geschrieben worden.
Meiner Ansicht nach steckte mehr dahinter, und ich würde verdammt vorsichtig sein, wenn ich ihn öffnete.
Meine Feierabendstimmung war dahin. Mich hatte wieder die berufliche Spannung im Griff, und ich war froh, als ich die Kabine verlassen konnte, um zu meiner Wohnung zu gehen.
Im Flur hielt sich niemand auf. Es war nur das Dudeln eines Radios zu hören, aber das störte mich wenig. In meiner Wohnung war es still.
Ich brachte die Lebensmittel in die Küche und nahm mir sogar die Zeit, sie in den Kühlschrank zu räumen.
Erst danach kümmerte ich mich um den Brief, da stand ich im Wohnzimmer, tastete ihn noch mal ab und fand nichts Verdächtiges.
Mit dem Taschenmesser öffnete ich ihn, schaute zunächst mal hinein und sah das zusammengefaltete Blatt Papier. Nicht mehr, auch kein weißes Pulver.
Mit spitzen Fingern zog ich das Blatt hervor und faltete es auseinander. Es war nicht eng beschrieben, aber es war nicht leer, denn jemand hatte mit schwarzer Schrift eine Nachricht hinterlassen, die ich mir selbst halb laut vorlas.
»Ich bin wieder im Spiel, Sinclair!« Unterschrieben war dieser eine Satz mit: Vincent van Akkeren!
***
Ja, das also war es!
Ich legte den Brief auf den Tisch und hegte keinen Zweifel daran, dass er echt war. Van Akkeren war nicht tot. Er war nur von Absalom geholt worden, nachdem es ihm nicht gelungen war, an die Gebeine der Maria Magdalena heranzukommen. Die befanden sich im Besitz meiner Templer-Freunde, wo sie auch bewacht wurden.
Nur war van Akkeren kein Mensch, der so schnell aufgab. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Der Kampf ging weiter, und van Akkeren würde noch immer versuchen, der neue Großmeister der Templer zu werden und dabei die Bastion in Alet-les-Bains zu zerstören oder für sich und seine Pläne zu nutzen.
Verändert hatte er sich nicht. Er hätte mir die Nachricht nicht zukommen lassen müssen, aber er war jemand, der einfach damit herauskommen musste.
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