1289 - Desteros Söhne
unterhalte. Ich bin für jede Abwechslung dankbar, wenn Sie verstehen.«
Sie machte Licht, um Helligkeit in die Diele zu bekommen. Die Wohnung war schon recht groß und auch so geschnitten, dass von der Diele die Türen zu den verschiedenen Zimmern hin abzweigten.
Mrs. Norris war sicherlich eine attraktive Frau, doch die letzten Stunden hatten sie um Jahre altern lassen. Daran änderten auch nichts die rot geschminkten Lippen.
Sie führte mich in das Wohnzimmer, das schon recht klein war, jedoch einen Zugang zum Balkon hatte, der wie ein Erker an die Hauswand gebaut worden war. Die Gardinen waren zur Seite gezogen, sodass ich einen freien Blick nach draußen bekam.
Auf dem Nussbaumtisch standen schon zwei Tassen bereit. Die Kanne ebenfalls und auch eine Flasche mit Brandy war nicht zu übersehen. Mrs. Norris lächelte, als sie meinen Blick sah. »Zwischendurch brauche ich mal einen Schluck, wenn Sie verstehen.«
»Sicher.«
Ich nahm im Sessel Platz, ließ mir einen Kaffee einschenken und schaute mich derweil um. In diesem Zimmer sah es aus wie in vielen anderen in unserem Land auch. Eine normale Einrichtung aus dem Katalog. Nichts überkandideltes. An den Wänden mit den gelblichen Tapeten hingen Bilder aus dem Kaufhaus, die Motive aus der Natur zeigten, wobei Flora und Fauna abgebildet waren.
Ob Dave Norris zu Hause war, wusste ich nicht. Es konnte sein, doch gezeigt hatte er sich mir noch nicht.
Nachdem wir beide einen Schluck Kaffee getrunken hatten, schaute mich die Frau aus ihren geröteten Augen an. »Sie wissen sicher, dass ich eine schwere Zeit habe. Mein Mann ist so plötzlich aus dem Leben geschieden, dass es für mich keine Erklärung gibt. Ich weiß einfach nicht, wie das passieren konnte. Sie sind der Polizist, Mr. Sinclair. Wie kommen Sie dazu, sich dafür plötzlich zu interessieren? Was ist der wirkliche Grund? Zweifeln Sie an der Todesursache meines Mannes?«
»Das zunächst nicht.«
»Ach.« Sie lehnte sich zurück und drückte ihren Rücken gegen das beigebraune Polster der Couch.
»Ihr Sohn hat mich aufmerksam gemacht.«
Zweifel zeichneten ihr Gesicht. »Moment mal, mein Sohn? Kennt er Sie denn?«
»Nicht direkt. Er hat einen Freund eingespannt. Aber darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Ich habe meine Gründe, Mrs. Norris. Mir geht es um etwas anderes. Auch nicht direkt um den Tod Ihres Mannes. Ich beschäftige mich mehr mit Dave.«
Sie schaute mich an und schüttelte den Kopf. »Wieso tun Sie das? Hat er etwas angestellt?«
»Das nicht.«
»Warum sitzen Sie dann hier? Ich hatte noch nie etwas mit der Polizei zu tun. Und mit Scotland Yard schon erst recht nicht.«
»Das werde ich Ihnen gleich sagen, Mrs. Norris. Es geht um Ihren Sohn, aber noch wichtiger ist die Adoption.«
Dieser letzte Satz hatte ihr die Sprache verschlagen. Sie schloss für einen Moment die Augen, als wollte sie mich nicht mehr sehen. Danach fragte sie: »Woher wissen Sie das?«
»Man hat es mir erzählt.«
»Gut, akzeptiert. Und weiter?«
»Bitte erzählen Sie mir, wie das damals genau abgelaufen ist. Ich möchte, dass Sie sich an jedes Detail erinnern. Es ist wichtig für mich.«
Mrs. Norris sagte zunächst nichts. Sie stand auf und nahm von einer schmalen Anrichte einen Aschenbecher. Eine Schachtel mit Zigaretten brachte sie auch mit.
Die Frau zündete sich einen Glimmstengel an und blies den Rauch aus dem rechten Mundwinkel zur Seite. »Komisch, Mr. Sinclair, Sie sind mir fremd. Normalerweise hätte ich Sie der Wohnung verweisen müssen, denn dieses Thema ist verdammt intim. Ich habe es nicht getan und bin sogar bereit, mit Ihnen darüber zu reden.«
»Das freut mich.«
»Werden Sie mir denn auch den Grund nennen?«
»Später bestimmt.«
Sie blies Qualm aus, sprach davon, dass ihr Sohn leider nicht da war und berichtete mir, dass es schon Probleme gegeben hatte, ein Kind zu adoptieren.
»Aber wir hatten trotzdem Glück.«
»Inwiefern?«
»Wir gerieten an einen Anwalt, der diese Dinge regelte. Er war auf Adoptionen spezialisiert, nahm zwar ein recht hohes Honorar, aber es dauerte nicht lange, da hatten wir unseren Sohn, den wir Dave nannten. So leicht war das dann.«
»Und was war mit den echten Eltern? Kannten Sie diese? Wussten Sie die Namen und…«
»Nicht mal das. Es ist eine Inkognito-Adoption gewesen für den Jungen und auch für uns, denn die Schwestern im Krankenhaus konnten uns auch nichts sagen. Angeblich haben sie den Jungen gefunden. Jemand hat ihn einfach abgegeben. Er lag
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