1289 - Desteros Söhne
auch passiert.«
»Ja, das weiß ich.«
Dave versuchte zu lachen, was ihm nicht gelang. Seltsame Laute drangen aus seinem Mund. Er wischte zuckend mit den Händen durch die Luft, schüttelte den Kopf und fand schließlich die passenden Worte.
»Dann habt ihr mich also adoptiert?«
»Ja, gemeinsam. Wir wünschten uns beide Kinder. Leider konnte dein Vater keine bekommen, und so haben wir uns überlegt, ein Kind anzunehmen, und das bist du gewesen, Dave.«
Vor der nächsten Frage fürchtete er sich, aber er stellte sie trotzdem. »Kennst du denn meine richtigen Eltern?«
»Nein, Dave, die waren uns unbekannt. Wir wollten sie auch nicht kennen lernen. Du warst knapp vier Wochen alt, da haben wir dich aus dem Krankenhaus geholt. Wir haben keine Ahnung, wer deine richtigen Eltern sind, mein Junge.«
»Ja, das verstehe ich schon«, flüsterte Dave. »Aber habt ihr mal nachgeforscht?«
»Nein, auch nicht. Das wollten wir beide nicht, verstehst du? Du warst unser Kind. Wir wollten deine richtigen Eltern erst gar nicht in unser Leben treten lassen.«
»Ja!«, flüsterte er, »das begreife ich schon. Aber ist es nicht ein Risiko gewesen, so etwas zu tun?«
Sie winkte ab. »Das Leben besteht aus lauter Risiken. Wer gibt dir denn die Gewissheit, dass die eigenen Kinder immer perfekt geraten? Niemand.«
»Das ist wohl wahr. Ich denke da mehr an die Erbanlagen, wenn du verstehst.«
»Ja, die Gene.«
»Richtig.«
Ellen zuckte die Achseln. »Ich kann dir nichts anderes sagen, mein Junge. Wir sind in das kalte Wasser gesprungen und nicht untergegangen. Das ist es, was uns gefreut hat. Aber ich habe auch nicht mit dem frühen Tod deines Vaters gerechnet.« Ihre Stimme wurde leiser, der Blick verflüchtigte sich in unendliche Weiten. »Es ist alles so plötzlich gekommen. Das war wie ein Sturmwind, der mein bisheriges Leben durcheinander geblasen hat. Grauenhaft. Aber wir müssen uns den Tatsachen stellen, Dave. Du und ich.«
»Ja, das stimmt.«
Einem plötzlichen Impuls folgend, sprang er von seinem Stuhl auf. Bevor Ellen Norris sich versah, wurde sie von ihrem Sohn gepackt und umarmt. Er konnte nicht anders, weil er von seinen Gefühlen überwältigt worden war.
»Wir halten zusammen, Mum, nicht wahr?«
»Ja, das tun wir…«
***
Die Nacht, die Dunkelheit, das jetzt so schreckliche Alleinsein!
Daves Mutter war zu ihrer besten Freundin gegangen, um bei ihr Trost zu finden. Dave hätte mitgehen sollen, doch er wollte es nicht. Nicht, dass er die Frauen nicht gemocht hätte, aber es würden Fragen gestellt und Antworten gegeben werden, und die wühlten ihn einfach zu sehr auf. Es war jetzt wichtig, dass er mit sich allein zurechtkam, um das Schreckliche zu verarbeiten.
Er wusste genau, dass er es nicht schaffen würde. Nicht in dieser Nacht, nicht in den folgenden und auch nicht in den kommenden Wochen.
Alles war so anders für ihn, obwohl die Umgebung sich nicht verändert hatte. Er lag in seinem Zimmer und hatte sich nicht mal ausgezogen. Nur die Schuhe standen neben dem Bett. Ansonsten lag er darauf und dachte über sich nach.
Der Tag war noch schlimm gewesen. Man hatte die Leiche abgeholt. Der Beerdigungsunternehmer war da fix gewesen. Er würde sich um alles kümmern und später die Rechnung schicken.
Das alles war an Dave Norris vorbeigelaufen wie ein nebliger Film. Er war danach in sein Zimmer gegangen und wollte nur Ruhe finden. Draußen drückte die Dunkelheit gegen die Fensterscheibe. Es war noch nicht Nacht, nur später Abend, aber das reichte im Herbst aus, um die Welt dunkel werden zu lassen.
Er schaute in die Höhe. Er sah die Decke im schwachen Widerschein der kleinen Lampe, die auf seinem Nachttisch stand. Sie sah aus wie ein nach unten gekipptes Glas, das seine Klarheit verlor und einen milchigen Schleier bekommen hatte.
Die Nacht würde lang werden, das wusste er. Und es würde ihm auch nicht gelingen, die Erinnerung zu löschen, das war ihm ebenfalls klar.
Natürlich drehten sich seine Gedanken um die Adoption. Die ganze Wahrheit zu erfahren, war für ihn ein harter Schlag gewesen. Das musste er erst mal verkraften.
Sein Handy klingelte. Es war die Melodie eines alten Songs von den Spice Girls.
Dave Norris schreckte zusammen. Er rollte sich herum, und seine Hand fuhr über die Fläche des Nachttisches hinweg. Dort lag das Telefon. Er meldete sich mit leiser Stimme, wobei er hoffte, dass der Anrufer keiner von seinen Freunden war.
»Ich bin es nur, Dave.«
»Du, Mutter? Was ist
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