1289 - Desteros Söhne
Herzschlag.
»Warum, Daddy, warum?«
Man gab ihm keine Antwort.
Dave Norris musste trotzdem sprechen. Er konnte nicht anders. Wieder kam er sich wie ein kleiner Junge vor, der mit seinen Sorgen zum Vater gekommen war. Der hatte immer für ihn eine Antwort gehabt, aber jetzt gab es keine Stimme mehr, die ihm antwortete, und ihm tröstende Worte spendete.
»Das war doch nicht normal, nicht wahr?«, flüsterte er mit zittriger Stimme.
Das Gesicht des Toten blieb unbewegt.
»Bitte, du kannst nicht einfach von uns gehen. Wir brauchen dich doch. Du bist gesund gewesen. Warum hast du uns dann verlassen? Keine Krankheit. Es war alles so normal. Und jetzt…« Seine Stimme brach ab. Es war genau der Moment, an dem die Tränen sich wieder freie Bahn brachen. Dave Norris konnte sich nicht mehr halten, als sein Körper zu schwanken begann. Er kippte nach rechts weg und fiel schräg über den Körper seines toten Vaters.
So blieb er liegen. Er wusste, dass es Unsinn war, aber er konnte nicht anders. So lange wie möglich wollte er noch bei seinem Vater bleiben, dem er so viel verdankte.
Dass sich die Tür wieder geöffnet hatte, war ihm verborgen geblieben. Nicht mal den Luftzug hatte er gespürt. Erst als ihm jemand gegen die Schulter tippte, schreckte er hoch. Er drehte den Kopf und entdeckte die verschwommene Gestalt neben dem Bett.
Sie war kein Gespenst, das erkannte er, als er genauer hinschaute. Es war seine Mutter, die ihm mit leiser Stimme erklärte, dass sie sich Sorgen gemacht hatte.
Dave richtete sich auf. »Warum hast du das getan?«, flüsterte er.
»Du bist so lange weg gewesen.«
»Das musste ich doch - oder? Ich habe Dad geliebt. Ich wollte von ihm Abschied nehmen.«
»Das weiß ich, Junge. Du kannst nicht für Stunden hier bei ihm sitzen. Außerdem möchte ich noch mit dir sprechen. Es drängt mich einfach. Es ist wichtig für mich.«
»Klar, Mutter. Ich bin jetzt der Mann im Haus. So sagt man doch oder?«
»Hin und wieder.«
»Es muss einiges in die Reihe gebracht werden. Es geht auch um die Beerdigung meines Vaters. Da gibt es bestimmte Vorgänge, die eingehalten werden müssen.«
Dave richtete sich auf. Er fühlte sich einfach dumpf im Kopf. Sein Leben hatte sich verändert. Er kam sich vor wie jemand, der neben sich selbst stand und nicht mehr wusste wie es weitergehen sollte, obwohl er alles klar vor Augen sah.
Zusammen mit seiner Mutter verließ er das Totenzimmer, ohne noch einen Blick auf den Toten zu werfen. Er hatte seinen Vater lange genug angesehen, und er wusste auch, dass er den Anblick so leicht nicht vergessen würde.
Ellen Norris hatte ihre Hand auf die Schulter des jungen Mannes gelegt. Sie führte und lenkte ihn.
Beide schlugen den Weg zur Küche ein. Dort roch es ebenfalls so kalt, als hätte sich der Hauch des Todes an den Wänden festgesetzt.
»Setz dich, Junge.«
»Danke.«
Als Dave Platz genommen hatte, tat seine Mutter etwas ganz Seltenes. Von der Arbeitsplatte neben der Dunstabzugshaube holte sie eine Flasche mit Brandy und brachte auch zwei Gläser mit, die sie auf den Tisch stellte.
Daves Augen weiteten sich. »Du willst trinken?«
»Ja.« Sie füllte die beiden kleinen Gläser bis zum Rand. Ihre Hände zitterten dabei, doch es lief nur wenig über. Sehr bedächtig schob sie ihrem Sohn ein Glas zu, der es dann auch umfasste, jedoch noch nicht anhob, sondern seine Mutter ansah.
»Lass uns einen Schluck trinken, Dave. Er wird uns gut tun.«
»Ja, vielleicht.«
»Komm schon.«
Sie hoben die Gläser an. Wenig später spürte Dave das scharfe Getränk an seinen Lippen. Er leckte mit der Zunge darüber hinweg, dann kippte er den Brandy mit einer heftigen Bewegung in seinen Mund.
Es war nicht der erste Schnaps, den er trank. Allerdings hatte er es mit Alkohol nicht besonders. Er war nicht daran gewöhnt und musste sich schütteln.
»Noch einen?«
»Nein, Mum, nein.«
»Gut. Aber ich muss noch ein Glas trinken. Ich versuche, den Schrecken irgendwie zu kompensieren. Kannst du doch verstehen - oder?«
»Ja, das begreife ich.«
Sie kippte ihr Glas wieder voll. Der Rest war einfach, und Dave wunderte sich, wie routiniert seine Mutter das schaffte. So etwas ließ auf ein gewisses Training schließen.
Sie stellte das Glas hart auf den Tisch und atmete durch den Mund ein. Dabei fixierte sie ihren Sohn, der ihr am Küchentisch gegenübersaß. »Ich muss dir jetzt etwas sagen, Dave. Und ich denke, dass es genau der richtige Moment ist.«
»Ach, was denn?«
»Es ist
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