1294 - Der kopflose Engel
beschrieben hatte.
Links von mir hörte ich ihre Stimme.
Die Frau sprach nur flüsternd, doch sie hielt ihren Blick auf den Engel gerichtet und schüttelte einige Male den Kopf.
»Das ist nicht zu fassen, nein, das ist…«, sie schluckte. »Ich kann es nicht glauben.«
»Weil er wieder seinen Kopf hat?«, fragte Jane.
»Ja, ja…«
Wir schwiegen, und wohl jeder von uns grübelte über eine Erklärung nach.
Mabel ließ den Kopf sinken.. Dann schüttelte sie ihn. »Jetzt glaubt ihr mir nicht - oder?«
»Davon hat niemand gesprochen, Mabel«, erklärte Jane Collins. »So etwas denkt man sich nicht aus.«
»Aber wie ist der Kopf dann wieder dorthin gekommen?«, fragte sie. »Hat ihn jemand aufgehoben und auf den Körper gesetzt?«
»Wir wissen es nicht.«
»Der Küster?«
»Das kann sein.«
»Und wer hat ihn dann umgebracht, Jane? Der Engel mit meinem Gesicht und auch mit dem meines Vaters.«
Genau mit diesen Worten hatte Mabel Denning einen Hinweis gegeben, der mich aufhorchen ließ.
In den vergangenen Minuten hatte ich daran nicht mehr gedacht und hatte mir das Gesicht des Engels auch nicht so genau angeschaut. Das änderte sich, und ich leuchtete das Gesicht der Figur jetzt genau an.
Ja, es stimmte. Es war tatsächlich eine große Ähnlichkeit vorhanden. Das Gesicht des Engels hätte durchaus nach dem der jungen Frau geformt sein können. Die Züge, das Haar, das alles stimmte.
Nur lebte dieser Engel nicht und trug ein Gewand, dessen Falten sogar echt aussahen, obwohl sie aus Holz bestanden. Die Haut der Figur zeigte einen rosigen Farbton. Dagegen wirkte der Mund recht blass. Seine Arme waren dicht an den Körper gelegt, und als ich noch mal das Gesicht anleuchtete, hatte ich das Gefühl, für einen Moment Leben in den Augen zu sehen. Das konnte auch eine Täuschung sein.
Mabel Denning hatte sich wieder gefangen. Dennoch brauchte sie Jane als Stütze und hielt sich an ihr fest. Sie musste reden, um sich Erleichterung zu verschaffen.
»Ich kann das alles nicht begreifen. Ich weiß nicht, warum der Engel so aussieht wie ich und warum das Gesicht Ähnlichkeit mit dem meines Vaters bekam.« Zitternd deutete sie auf die Figur. »Ich weiß auch nicht, wieso er dort wieder ganz normal hängt, als wäre nichts geschehen. Tut mir Leid, da bin ich überfragt.«
»Wir werden es herausfinden!«, erklärte ich.
»Ach ja? Wie denn?«
»Indem wir ihn untersuchen.«
Damit hatte Mabel ihre Probleme.
»Was? Sie wollen… Sie wollen ihn in ein Labor bringen und…«
»Die Untersuchung startet hier.«
Mabel sagte nichts mehr. Sie schaute Jane Collins an, um von ihr Genaueres zu erfahren, aber Jane sagte nur: »Vertraue John Sinclair. Er hat seine eigenen Methoden, um etwas zu untersuchen. Ein Labor brauchen wir dafür nicht, Mabel.«
»Okay, ich warte ab.«
»Das ist super.«
Ich hatte mir meine Gedanken über den Engel gemacht und mir einiges durch den Kopf gehen lassen. Es konnte durchaus sein, dass diese Figur zweigeteilt war, dass zwei verschiedene Kräfte in ihr steckten. Zum einen die positiven, zum anderen die negativen und dass er eben auf irgendeine Art und Weise von Belial, dem Lügen-Engel, geführt wurde. Wer ihn hier an der Wand hängen sah, wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihn für gefährlich zu halten, doch ich dachte anders darüber.
Um an ihn heranzukommen, musste ich noch näher herantreten. Die Füße hingen praktisch in einer Höhe mit meiner Stirn. Er war zu fassen.
Ich spürte die Spannung, die in mir hochwallte, als ich meine Arme anhob und nach dem Engel fasste. Bei der ersten Berührung zuckte ich leicht zurück und griff wieder nach.
Nein, es war nichts.
Das merkte auch Jane Collins. Sie erkundigte sich, ob sie mir helfen konnte.
»Ja, es kann sein, dass er fällt. Ich weiß nicht, ob ich ihn richtig zu fassen bekomme.«
»Okay, ich passe auf.«
Noch mal griff ich zu. Ich drückte die Figur leicht in die Höhe, um sie vom Haken zu bekommen, was auch klappte, und dann fingen meine hochgereckten Arme an zu zittern, denn der Engel kippte.
Zum Glück stand Jane Collins in meiner Nähe. Sie half mir und fing den kippenden Engel ab. Sein Körper landete auf den Händen ihrer hochgereckten Arme.
»Gut so, Jane.«
»Ja, ja, wenn du mich nicht hättest.«
»Vorsichtig jetzt.«
»Keine Sorge, das packen wir.« Jane war ebenso konzentriert wie ich. Gemeinsam hielten wir den Engel fest, und gemeinsam ließen wir ihn nach unten sinken.
Der Rest war ein Kinderspiel. Wenig
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