1294 - Der kopflose Engel
Nebel hinein, er wünschte sich Flügel. Er atmete keuchend. Er schaute nicht nach unten, und genau das war sein Fehler. Beim Herweg hatte er das feuchte Laub gesehen.
Jetzt nicht…
Mit der rechten Hacke trat er genau auf einen dieser feuchten Flecken. Es war nichts mehr zu machen. Andere Kräfte hatten die Kontrolle übernommen.
Sein Schrei hing noch in der Luft und wurde vom dünnen Nebel umklammert, als sein rechtes Bein nach vorn geschleudert wurde, er selbst aber nach hinten kippte.
Adrian Morton bewegte seine Arme noch wirbelnd durch die Luft, bevor er mit dem Rücken aufschlug. Nicht mal eine Sekunde später erhielt er den Schlag gegen den Hinterkopf.
Plötzlich schien die Welt in blitzenden Farben vor ihm aufzusprühen. Alles herum wurde anders. Er war nicht mehr er selbst. Die böse Kraft hatte ihn herumgerissen, sie hatte sich ihn geholt. Er wurde nicht bewusstlos. Er bekam die Stiche in seinem Kopf mit, aber es war auch etwas mit seinen Augen geschehen, denn die Sicht hatte sich nicht nur verändert, es gab sie einfach nicht mehr.
Der Küster wurde nicht bewusstlos. Er blieb stöhnend auf dem Boden liegen.
Er schaffte es nicht, aus seiner Rückenlage zu kommen, aber seine Sicht klärte sich, als hätte eine große Hand alles vor seinen Augen weggeschafft.
Er schaute auf die Gestalt.
Und er sah die Waffe!
Lag es am Nebel? War es tatsächlich das Gespenst, das ihn aus der Kirche bis nach draußen verfolgt hatte und jetzt mit seiner Waffe vor ihm stand?
Das Wissen brachte ihm nichts.
Nur das Sehen!
Vor ihm hob das Wesen sein Schwert oder was immer es war an. Im gleichen Augenblick riss der Küster seinen Mund auf. Er wollte noch in den letzten Sekunden seines Lebens sein Entsetzen herausschreien.
Die Klinge war schneller.
Sie raste nach unten.
Er sah sie huschen. Er hörte sogar ein fauchendes Geräusch, als wäre sie dabei, Nebelbahnen zu zerteilen, und für einen winzigen Augenblick sah er alles klar und deutlich vor sich.
Das Gespenst besaß ein Gesicht. Nur kannte er es nicht. Es gehörte einem Mann, und dann hatte ihn die Klinge erreicht.
Von einem Moment zum anderen wurde sein Lebensfaden durchtrennt!
***
Die Erzählung der Mabel Denning hatte Jane und mich wieder »nüchtern« werden lassen. Jedenfalls war unsere Entspannung verflogen. Jetzt hatte uns die Realität zurückerobert, und die sah so aus, dass ich hinter dem Lenkrad saß und fuhr, während sich Jane Collins mit Mabel Denning auf den Rücksitz verdrückt hatte.
Jane wollte die junge Frau nicht allein lassen, denn es würde Mabel gut tun, wenn sie den Körperkontakt spürte. Da bekam sie ein gewisses Gefühl der Sicherheit, das für sie ungemein wichtig war.
Jane ließ sie auch nicht mit den eigenen Gedanken allein. Immer wieder nahm sie einen Gesprächsfaden auf, und sie hörte genau zu, was ihre Freundin antwortete.
Beide Frauen sprachen leise, sodass ich nicht viel verstand. Es war gut so.
Ich wollte mich nicht in den Dialog einmischen und konzentrierte mich auf die Fahrerei.
Das Ziel war für mich leicht zu finden, denn Mabel Denning hatte uns den Weg genau beschrieben.
Wir würden nicht direkt in der Stadt bleiben, sondern fuhren in Richtung Westen und damit hinein in eine mehr oder weniger dörfliche Gegend, über die die große Stadt noch nicht ihren Schatten ausgebreitet hatte.
Natürlich machte ich mir meine Gedanken über den neuen Fall.
Ich hatte meine Erfahrungen mit Engeln. Ich hatte sie in allen Variationen erlebt. Ich kannte sie als gute Wesen, als Zwitter, aber auch als verdammt böse Gestalten, und da kam mir automatisch der Name Belial in den Sinn.
Der Lügenengel?
Hatte er seine Hände mit im Spiel? Möglich war alles. Aber wenn es denn so stimmte, dann waren wir dabei, einer Lüge aufzusitzen. Deshalb war ich so gespannt, wie sich der Fall entwickeln würde.
Die beiden Frauen flüsterten miteinander. Hin und wieder fiel der Begriff Angst, und Mabel wusste auch nicht, wie es weitergehen sollte, aber Jane sprach ihr stets beruhigend zu und erklärte ihr, dass sie sich keine großen Sorgen zu machen brauchte.
Direkte Sorgen machte ich mir zwar auch nicht, aber es passte mir nicht, dass sich das Wetter verändert hatte. Hier - außerhalb der Stadt - hatte sich der Nebel verdichtet. Zwar war er nicht zu einer dicken Suppe geworden, doch er behinderte die Fahrt schon, und so musste ich mit dem Tempo herunter.
Die Scheinwerferlichter entgegenkommender Fahrzeuge sahen wie zerfranst aus und wurden
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