1294 - Der kopflose Engel
Mittlerweile ging ich davon aus, dass mir von dem Torso keine Gefahr drohte. Hier existierte etwas anderes, vor dem ich mich in Acht nehmen musste.
Ein schmaler Gang führte am Treppenaufgang entlang auf das erste Zimmer zu. Dorthin verlor sich mein Blick, ohne dass ich etwas erkannte.
Der Fußboden war frei. Es gab keinen Kopf, der als Hindernis im Weg lag.
Er war weggerollt oder weggeschafft worden. Irgendwas musste passiert sein. Irgendjemand musste sich ins Haus geschlichen haben, um zuzuschlagen. Das alles stand für mich fest, aber der unbekannte Dieb hielt sich verdammt gut versteckt.
Oder wartete er im Freien?
Das war nur ein flüchtiger Gedanke. Für mich waren andere Dinge wichtiger. Das Haus selbst konnte ich mit gutem Gewissen als die gefährliche Zone ansehen.
Wenn ich weiterhin geradeaus durchschritt, erreichte ich das kleine Arbeitszimmer des Küsters.
Dahinter befanden sich das Wohnzimmer und das kleine Bad. Im Arbeitszimmer hatte der Mann auch geschlafen, denn in der Ecke stand ein Bett, das sich zusammenklappen ließ.
Von dort hatte ich auch telefoniert. Es gab die Lampe auf dem Schreibtisch Licht, und eine Wandleuchte breitete ebenfalls ihren Schein aus, sodass ich nicht im Dunkeln tappen musste.
Wieder ging ich einen Schritt vor. Leider nicht geräuschlos. Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr.
Wenig später stand ich im Arbeitszimmer. Es war nicht zu hell und auch nicht zu dunkel. Ich kam mir mit der Beretta in der Hand schon etwas lächerlich vor, steckte sie aber auch nicht weg, sondern blickte mich um. Ich wollte auch die Ecken durchsuchen, um herauszufinden, ob sich der Kopf vielleicht dorthin verkrochen hatte.
Verkrochen war gut…
Jemand musste ihn mitgenommen haben. Der Eindringling, der zugleich mein Feind war.
Und der sich lautlos hatte bewegen können, denn irgendwelche verdächtigen Geräusche hatte ich nicht gehört.
Die Blicke nach vorn; nach rechts und nach links brachten mich um keinen Deut weiter.
Allmählich wurde es eng. Mein Gefühl sagte mir, dass der Eindringling nicht mehr lange warten würde. Möglicherweise war er schon vorher im Haus gewesen und hatte mein Telefongespräch mitgehört.
Wenn der Küster hatte kochen wollen, war er in sein Wohnzimmer gegangen. Dort stand auch die Glotze, die mich zwar nicht interessierte, dafür jedoch das Zimmer.
Es waren nur wenige Schritte bis zur Tür. Die Distanz legte ich schnell zurück. Unterwegs glaubte ich, von fremden Gedanken gestreift zu werden, was auch eine Täuschung sein konnte.
Die Tür lag zum Greifen vor mir und ich wollte sie auch öffnen, da passierte hinter meinem Rücken etwas.
Es war ein Geräusch!
Identifizieren konnte ich es nicht. Ich wusste auch nicht, ob es fauchend oder schrill geklungen hatte. Die Tonhöhe lag irgendwo dazwischen, aber ich fuhr auf der Stelle herum, und meine Beretta machte die Bewegung mit.
Ich war nicht mehr allein!
Vor mir stand die graue Gestalt, die eine machetenartige Waffe mitgebracht hatte…
***
Jane Collins kam mit dem Rover gut zurecht. Weniger gut gefiel ihr das Verhalten von Mabel Denning, die stumm neben ihr saß und hin und wieder seufzte.
»Wenn dich etwas bedrückt, sag es bitte.«
»Nein, nein, es ist nichts.«
Jane hielt ihr Lachen nicht zurück. »Soll ich dir das wirklich glauben, Mabel?«
»Warum nicht?«
»Du reagierst nicht normal, wenn ich das so sagen darf. Du bist anders geworden.«
»Wie anders denn?«
»Das kann ich dir sagen. Wie eine Person, die schwer unter der Last des Schicksals trägt.«
»Kann sein.«
Jane musste wegen der Witterungsverhältnisse langsam fahren. »Wir haben Zeit, Mabel. Wenn du willst, dann erzähle mir alles, was dich bedrückt. Ich bin eine gute Zuhörerin, und ich kann mir denken, dass es dir gut tun wird, dich mal seelisch zu erleichtern.«
Mabel lächelte etwas verloren. »Ja, ja, da kannst du schon Recht haben, aber es ist alles nichts Konkretes, verstehst du? Ich laufe durch meine eigene Gedankenwelt wie durch einen Irrgarten. Das musst du mir schon zugestehen.«
»Geht klar, meine Liebe. Nur sollte dir jemand helfen, diesem Irrgarten zu entkommen.«
»Du kannst es nicht, Jane.«
»Warum nicht?«
»Es ist in meinem Kopf. Es ist furchtbar, verstehst du? Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Seit mein Vater verstorben ist, bin ich völlig durcheinander. Manchmal habe ich den Eindruck, als steckten gleich zwei Personen in mir.«
»Wer ist denn die zweite?«
»Keine Ahnung.«
Jane fuhr langsam, weil
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