1294 - Der kopflose Engel
im Nebel das Rotlicht einer Ampel erschien. »Denkst du dabei an den Engel?«
»Nein, das geht nicht. Er ist ein Stück Holz. Er hat keine Seele, meine ich…«
»Das sag nicht. Er kann durch seine Seele zu dir eine Beziehung aufgebaut haben. Außerdem trägt er dein Gesicht. Das darfst du ebenfalls nicht vergessen.«
»Das weiß ich.« Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. »War er es, der mir geraten hat, wegzulaufen? Oder wem gehörte diese Stimme? Ich weiß es nicht. Ich weiß eigentlich gar nichts mehr. Bei mir ist alles durcheinander.«
Sie fuhren wieder an, und Jane kam auf Mabels Vater zu sprechen. »Er war Psychologe, nicht wahr?«
»Genau.«
»Hatte er ein Spezialgebiet?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass er immer gut zu tun hatte. Ein paar Mal habe ich erlebt, welche Menschen zu ihm kamen, und vor ihnen bekam ich Angst.«
»Warum?«
»Sie sahen irgendwie schlimm aus.«
»Obwohl sie Menschen waren?«
»Ja.« Mabel sprach jetzt schneller. »Verstehe mich bitte richtig. Es waren Menschen, aber sie waren nicht locker. Sie schnitten auch Themen an, die mir nicht gefielen.«
»Welche waren es?«
Mabel schaute in den Nebel. »Wenn ich das genau wüsste, dann ginge es mir besser. Aber ich habe keine Ahnung. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen.«
»Möglicherweise kann ich es.«
»Nein, das…«
Jane fiel ihr ins Wort. »Du solltest es zumindest versuchen, Mabel. Das ist besser.«
»Ja, gut.« Sie nickte. »Ich weiß nicht mal, ob ich darüber lachen oder mich ärgern soll. Es war einfach zu schrill. Ich habe meinen Vater gehört, wie er von anderen Welten sprach. Von Gestalten, die er Dämonen nannte. Das war wirklich nicht komisch.«
»Und was hast du gedacht?«
»Spinnerei.«
»Wieso?«
»Nun ja, du darfst nicht vergessen, was mein Vater von Beruf war. Wer zu ihm kam, der hatte schon mit gewissen Problemen zu kämpfen. Und so ging ich davon aus, dass diese Dämonen nicht existent waren und nur in der Fantasy der Menschen, existierten. Sie sind dann zu meinem Vater gekommen, um sie loszuwerden.«
»Das könnte sein.«
»Weiß nicht…«
»Was hat dein Vater denn getan?«
Mabel senkte den Kopf und schaute auf ihre Knie. Inzwischen hatten sie London erreicht. Der Nebel war hier ein wenig dünner geworden, aber noch immer wirkte die Stadt verfremdet, und andere Autos sahen aus wie kleine Monster auf vier Rädern.
»Ich denke«, antwortete Mabel Denning mit leiser Stimme, »dass er seine Patienten von ihnen befreit hat.«
»Ausgetrieben!«
»Ja, wenn du willst.«
»Wie ein Exorzist«, sagte Jane leise, aber durchaus hörbar.
Mabel dachte nach. »Das Wort hat für mich einen üblen Beigeschmack, denke ich.«
»Das schon. Wir können es aber auch nicht völlig aus der Welt schaffen.«
Mabel überlegte laut. »Mein Vater ein Exorzist? Einer, der Dämonen oder Geister austreibt?«
»Das gibt es.«
»Weiß ich. Nur hat er nie etwas mit der Kirche am Hut gehabt. Schon gar nicht mit der konservativen. Er hat sie einfach übersehen. Wir haben auch nicht darüber gesprochen.«
»Gut, akzeptiert. Und an was hat dein Vater geglaubt?«
»Das kann ich dir nicht sagen«, erklärte Mabel spontan.
»An das Gegenteil vielleicht?«
»Wie meinst du das?«
Jane bog vorsichtig in eine Seitenstraße ein, weil sie sah, dass von rechts nach links schattenhafte Gestalten über die Fahrbahn huschten. »Das Gegenteil wäre die Hölle oder der Teufel, um es mal volkstümlich auszudrücken. Wie stand dein Vater denn dazu?«
»Das weiß ich nicht.«
Die Antwort war so schnell erfolgt, dass Jane Collins Probleme damit hatte, sie zu glauben. Sie ließ ihrer Freundin noch etwas Zeit und fragte dann: »Bist du dir sicher?«
»So genau weiß ich das nicht. Das will ich auch nicht wissen.«
Jane Collins ließ nicht locker. »Aber etwas ist dir schon bekannt - oder?«
»Himmel, Jane, du kannst fragen…«
»Es ist zu unserem Besten.«
»Ja, ich habe was erfahren, gefunden, wie immer du willst.«
»Was denn?«
»Einige Bücher im Nachlass meines Vaters. Da wurde von den dunklen Engeln geschrieben. Von den Verlockungen der Finsternis. Von Herrschern in ganz anderen Reichen.«
»Hast du dich nicht gewundert?«
»Klar, ich war erstaunt. Ist auch kein Wunder, wo mein Vater nichts mit der Kirche am Hut hatte.«
»Aber diese Engel waren anders«, sagte Jane. »Böse Gestalten, der Dunkelheit zugetan.«
»Und was könnte das bedeuten?«
»Der Hölle.«
Der Schauer auf Mabels Haut war
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