13 alte Esel
doch unmöglich immer ganz sagen .«
»Immer ganz !« sagte Don Chaussee entschieden. »Eine Silbe weniger, und Sie hätten unsere heißblütigen Mexikanerinnen mal erleben sollen! Ohne Messer im Strumpfband gehen die ja nie vor die Tür .«
Große-Witte lief es kalt den Rücken entlang. Sachen hatte dieser Kerl erlebt. Sachen! Da saß man selbst bieder in seinem Dorf und ahnte überhaupt nicht, was in der Welt tatsächlich vor sich ging. Ein Glück, daß er sich mit dem Don Chaussee so gut verstand und ab und zu mal was erfuhr, wovon sie in der Zeitung nichts schrieben. Daß er einem dabei so ‘n bißchen Plunder entführte, na ja, darüber kam man weg. Schließlich hatte man mit dem Zu-Hause-Bleiben ja ganz ordentlich verdient, das durfte man nicht vergessen. »Also, denn mal los !« prostete er aufmunternd, den Zettel zu sich heranziehend.
Beide Ellenbogen auf die Kasse gestützt, trank er mit den Körnchen die Geschichte durstig in sich hinein, bis sich genau an der Stelle, wo Señorita J. C. D. d. P. i. C. C. e. D. Hotchkiss — glutäugig, rabenschwarz und sinnverwirrend temperamentvoll — erstmalig die Kastagnetten klappern ließ und zum betörenden Beinewirbel ansetzte, die Ladentür auftat und die dicke Bürgermeisterin mit schmerzschiefem Gesicht, einen Schal um die Backe gebunden und offensichtlich wehester Laune, hereingekeucht kam. Im Handumdrehen verschwanden Schnaps und Tänzerin. Die glänzenden Augen schleunigst hinter der Brille verbergend, nahm Große-Witte mit bebenden Händen den Zettel, schrieb über die verräterische Liste vorsichtshalber »Bestellung Ess« und seufzte abgrundtief: »Vergessen Sie nicht, die Sachen bald abzuholen !«
Don Chaussee versprach’s und zog befriedigt von dannen. Gutes Geld ausgeben für Sachen, die man umsonst haben kann, dachte er, das wäre ja gelacht!
Don Chaussee war ein wenig merkwürdig zumute, als er sich dem Pastorat näherte. Während er an der Mauer gründlich die Pfeife ausklopfte und die Tabakreste im Sand zertrat, durchfuhr ihn ein leises Bangen um jenen unvergeßlichen Eindruck von seinem ersten Besuch vor einer Woche. Hatte er damals geträumt? Doch als er in den Flur trat, rührte ihn gleich wieder die Zeitlosigkeit an, das Gefühl, hinter der Schwelle alle Hast des Alltags zurückzulassen. Die alte Standuhr tickte, in der Küche pfiff ein Kanarienvogel durchdringend hell und hoch, und Fräulein Lisbeth, die ihm geöffnet hatte, sagte: »Wie schön, daß Sie uns besuchen kommen !« , wobei ihre braunen Augen freundlich leuchteten.
Um das Wollkleid mit dem gestärkten Spitzenkragen hatte sie eine blaue Gartenschürze gewickelt, an der sie sich flink die Hände abputzte. »Wir haben unten gerade die Blumen für die Kirche geschnitten und in Vasen gefüllt. Sie können uns helfen, sie hinüberzutragen .«
Der Weg durch den dämmrigen Gang, die Treppe hinunter und an den vielfältig duftenden Vorratskellern vorbei ins Gartenzimmer war ihm vertraut, als habe er Jahre der Kindheit hier zugebracht. Großmutter, lächelte er, sich der Beglückung erinnernd, die der Gedanke in ihm ausgelöst hatte. Wie heimatlich die Äpfel und die Birnen rochen!
Malwine zupfte eine Dahlie zurecht und betrachtete mit schiefgelegtem Kopf ihr Werk. Die Brille veränderte das Gesichtchen ganz erstaunlich, und die kurzgeschnittenen, federleichten Härchen ließen es voller erscheinen. Es war, als sei mit dem Zopf auch die krankhafte Gespanntheit der Haut verschwunden. Sie trug ein helles Baumwollkleid mit weit abstehendem Rock, über den eine Hand selbstvergessen streichelte, ganz stolz auf so viel ihr gehörende Pracht. Als sie den Fremden sah, trat augenblickslang wieder der gejagte Ausdruck in ihre Augen. Dann erkannte sie ihn und lächelte scheu, als er ihre Hand nahm. »Hast du meinen Esel mitgebracht ?« fragte sie ängstlich drängend.
»Vielleicht morgen«, sagte Don Chaussee.
Ihre Augen irrten wieder blicklos auseinander, füllten sich mit Tränen. »Ich war nicht lieb zu ihm«, sagte sie mit zuckenden Lippen. »Der arme Esel. Ich will’s nie wieder tun !«
»Nicht weinen«, tröstete er und nahm die größte Vase auf den Arm. Behutsam nahm Malwine eine andere. »Das Eselchen weiß ja, daß du krank warst und es nie wieder tun willst. Tiere spüren das, glaub mir nur .« Sie schluckte und sah ihn dankbar an.
Fräulein Lisbeth stellte die Vasen am Altar auf. Durch die dörflich bunten Kirchenfenster fiel nur mattes Licht in den Raum, der nach Wachs und
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