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13 alte Esel

13 alte Esel

Titel: 13 alte Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Bruns
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Kartoffeln. In ihre blassen Backen kam das Rot zurück, vertiefte sich, bis es brannte und zu scharf umrissenen Flecken wurde. Aus dem Badezimmer klang Uwes Kreischen und Lachen herüber; sicher spritzte er wieder wie wild mit Wasser um sich, und Schwester Monika ließ es ihm durchgehen. Sie war in der letzten Zeit immer nachlässiger geworden, dachte nur noch an diesen Müller. Man müßte ihr einmal energisch den Marsch blasen und den Jungen zur Räson bringen. Er geriet sonst außer Rand und Band. Anstatt aber, wie sonst, solchen Erwägungen gleich die Tat folgen zu lassen, streute sie nur abwesend weiter Salz auf die Kartoffeln. Etwas in ihr, ein neuerwachtes Zögern, wehrte sich dagegen, Uwe auszuschelten. Sollte er doch spritzen! Das Badezimmer war gekachelt und konnte aufgewischt werden. Sie hatte sich heute morgen sein Gesichtchen eindringlich angesehen, sein rundes Babygesicht mit den hellblauen Augen unter einem kecken blonden Wirbel, der widerspenstig über der Schläfe stand. Sie hätte es nachzeichnen können, so genau hatte sie hingesehen. Der Schrecken von gestern, daß sie sich nicht an Andreas’ Aussehen erinnern konnte, saß ihr seltsamerweise noch in den Knochen. Sie hatte die Kinder kaum je nah gesehen; für die Pflege war Schwester Monika da. Uwe hatte gestrampelt, als sie ihn auf den Arm genommen hatte. Sein kleiner Mund hatte sich zu kläglichem Weinen verzogen, so wenig wollte er von ihr wissen. Keiner liebte sie. Das hatte sie nie gekümmert, und es kümmerte sie auch jetzt nicht. Absolut nicht. Sie wiederholte es halsstarrig: absolut nicht. Morgen war ja sowieso alles vorbei. Herr Ess würde ihr schonend vorschlagen, die alte Stelle wieder anzunehmen, und sie würde höflich sagen, daß sie daran auch schon gedacht habe.
    Ihr Blick haftete an dem Sonnenstrahl zu ihren Füßen. Ihr Arbeitsraum in der Fabrik lag nach Norden, erinnerte sie sich, auf den Fabrikhof zu, wo das Alteisen lag. Da war keine Sonne, und sie hatte sie nicht vermißt.
    Jetzt würde sie sie vermissen!
    Wie ein Blitz schlug die Erkenntnis ein. Ja, ja, dachte sie erschreckt und aufgescheucht, sie würde die Sonne vermissen. Ihre Küche auch. Und die Kinder: Andreas und Uwe, ja selbst die anderen, deren Gesichter sie nun deutlich sah: Franziskas grobe Hübschheit, Leos Bulldoggengesicht, Huberts lebendige Miene und die runden Gesichter der Kletten, die sich täglich rosiger färbten. Nein, sie wollte nicht zurück in die Fabrik!
    Verstört sah sie auf die vertrauten Dinge um sich, sah, so nahe dem Verlust, das Längstgekannte wie nie gesehen: die blanken Kacheln um den Herd, die bunten Kindertassen, Henkel neben Henkel, auf dem Bord, die Regentonne vor der Tür und das kleine Waschhaus rechts und den ausgetretenen Backsteinpfad, auf dem in dicker Schicht Ahorn- und Kastanienblätter schrumpelten. Sie sah den Herbstglast flimmernd über der dunstigen Landschaft liegen, und sie wußte, daß sie all das um keinen Preis mehr missen wollte.
    Was hatte sie sich denn da mit der Fabrik zurechtgedacht? Sie fuhr sich über die schmerzende Stirn. Es war richtig gewesen und sehr vernünftig. Und jetzt — nein, das ging doch nicht. Man konnte doch nicht innerhalb einer Minute seine Meinung ändern, schwankend wie ein Rohr im Wind...
    Schwankend! Sie haßte das bloße Wort. So etwas passierte ihr nicht. Sie wußte immer genau, was sie wollte. Sie war nicht wie — wie ihr Vater. Nein! Sie preßte die Hand vor die Augen, um das Bild auszuschließen, das sie nicht sehen wollte und das sich doch in den letzten Wochen so widerwärtig zäh nach vorn in ihr Bewußtsein drängte, das Bild des grauhaarigen, schlaffen, unordentlichen Mannes, der ihre Kindheit zu einem dumpfen Gefängnis gemacht hatte. Ein Zögerer und Spintisierer, der an der Wirklichkeit vorbeiging, dem die Arbeit unter den Fingern zerrann, der zu bequem war, das Elend zu sehen, das er verursachte. Mit zehn Jahren hatte sie von nichts einen Haushalt führen müssen und eine kranke Mutter gepflegt; sie hatte Lumpen gesammelt und sortiert, und sie hatte mit müden, roten Augen in aufkeimendem Haß auf den Mann gestarrt, der ihr nicht half, der nichts tat. Er sagte »Bescheidenheit«, wenn sie statt einer Kruste eine ganze Scheibe Brot verlangte, er sagte »Frieden«, »Liebe zu den Mitmenschen«, wenn sie blutig gekratzt aus einer Balgerei um die erbeuteten Lumpen nach Hause kam, er sagte »Geduld«, wenn sie von Baracke zu Baracke und schließlich in den Keller zogen, er sagte

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