13 alte Esel
Peitschenhieb. Unwillkürlich duckten sich die Angesprochenen. Niemand, wie aufsässig er auch draußen gewesen war, wagte drinnen zu mucksen. Frau Martha tobte nie laut und wirklich heftig. Eingepreßt in lebenslang geübte Selbstbeherrschung wie in einen schmerzend engen Panzer, war es ihr unmöglich, sich einfach »Luft« zu machen. Hinzu kam, daß sie jede Ungezogenheit als bittere persönliche Kränkung empfand, als höhnisches Durchkreuzen ihrer wohlüberlegten Erziehungspläne. So traf sie Strafmaßnahmen, die gefürchtet waren und dazu führten, daß sich in ihrer Gegenwart selten einmal einer daneben benahm, was sie wiederum befriedigt als Erfolg verbuchte.
Sonntags durften die Kleinen nach dem Abendbrot eine, die Großen zwei Stunden länger aufbleiben. Schwester Monika spielte dann »Mühle« oder »Halma« oder »Mensch, ärgere dich nicht« mit ihnen, und unter den strengen Augen der Leiterin verliefen diese Abende ziemlich friedlich und erfreuten sich deshalb einer gewissen Beliebtheit.
»Die Kleinen gehen sofort zu Bett, die Großen arbeiten !« Dieser Befehl strich das Vergnügen für heute vom Programm. Bernd und Bubi kämpften mit den Tränen. Sie waren sich keiner Schuld bewußt, ebenso wenig wie Malwine. Frau Marthas Zorn aber traf die Gerechten mit den Ungerechten. So schlichen die Kletten widerspruchslos, die Hände ineinandergekrampft, ins Schlafzimmer, wo man bald schon die Betten knarren hörte. Malwine verschwand lautlos. Don Chaussee blinzelte leicht irritiert: Gerade hatte sie ihn noch angeschielt, dann war sie wie vom Erdboden verschwunden. Gerda holte sich ein Buch. Behaglich zusammengerollt, sah sie vom besten Sofaplatz aus zu, wie Änne und Franziska die Küche ausräumten und sich dann verbissen ans Stopfen der zerrissenen Kleidungsstücke machten. Sie las halblaut vor sich hin, lachte gelegentlich kurz auf und lutschte Bonbons dabei, ohne den anderen welche anzubieten.
Leo und Andreas kannten ihre Arbeit offensichtlich. Don Chaussee beobachtete verständnislos, wie sie große Bogen weißen Papiers, Bleistifte, Lineale, zwei Töpfe schwarzer Tusche und ein paar Tuschfedern herbeiholten und auf dem Tisch ausbreiteten. Frau Martha schob jedem einen Zettel hin. »Für Huberts Krankenbett«, sagte sie mit einem freudlosen Lächeln unter gerunzelten Brauen. Leo schnitt hinter ihrem Rücken eine Grimasse; Andreas’ Gesicht war ausdruckslos wie immer.
Als seine Frau ein paar Nocken Wolle zum Aufwickeln holte, sah Don Chaussee eine kleine Möglichkeit, sich nützlich zu machen. »Soll ich dir helfen ?«
»Bitte.«
Die Kinder zeichneten oder stopften, Frau Martha wickelte die Wolle, und er hielt sie ihr auf. Es könnte wie damals sein, dachte er, als er ihr abends die Wolle aufgehalten hatte zu den ungezählten Strümpfen, die sie nebenbei noch strickte. Eine fleißige Frau, die sich keine Ruhe gönnte. Ganz am Anfang hatte sie eine Tasse Tee dabei getrunken, mit etwas Rum darin, bis ihr jemand sagte, Tee sei nicht gut für den Schlaf. Er sah zu ihr hinüber, auf den weißen Scheitel mitten durch das schwarze Haar. Früher hatten sie sich ab und zu über den Wollfaden hin angelächelt. Freilich hatte es noch eher aufgehört als der Tee. Weshalb nur, fragte er sich jetzt wie damals und bekam keine Antwort darauf, weshalb mochte sie ihn nur geheiratet haben? Bei Licht besehen, hatte sie doch eigentlich nie etwas mit ihm anfangen können. Er machte sie nervös, und manchmal hatte er das Gefühl, als fürchte sie sich vor ihm. Ein lächerlicher Gedanke: Er war doch nichts. Er hatte sie aus Liebe geheiratet, die schöne schwarze, selbstbewußte Frau, und er liebte sie immer noch. Er seufzte.
Schweres Schweigen lastete auf dem abendlichen Raum, nur von Gerdas Kichern und einem leisen Knurren der Jungen, einem gelegentlichen unwilligen Seufzer unterbrochen. Wie das Blubbern der gefährlichen Wüstenmoore in den Rockies drüben war das, genauso anhaltend, so drohend, so stickig unterdrückt. Oft hatte er mit klopfendem Herzen darauf niedergestarrt und auf den jähen Ausbruch der Löcher gewartet, der meterhohe Schlammsäulen in die Luft jagte. Sein Instinkt hatte ihn immer von dort weggezogen, und auch hier zerrte er ihn weg, nach draußen, an die frische Luft, vielleicht ins Dorf, zu einem frischen Bier.
Frau Martha unterbrach seine Gedanken. »Josef«, sagte sie halblaut, ohne aufzusehen, »wegen deiner Esel habe ich die Kinder strafen müssen. Im Grunde ist es ungerecht, das weißt du
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