13 alte Esel
klugen, in eine Vielzahl winziger Falten gebetteten blauen Augen wölbte sich eine mächtige Stirn, deren Wucht zweifellos zum Teil darauf beruhte, daß sich außer den spärlichen Brauen in ihrer Nähe keine Haare mehr befanden. Niemand hätte behaupten können, Herr Ess habe eine Glatze — er selber würde es auch entschieden bestritten haben doch war kaum zu leugnen, daß die noch vorhandenen grauen Haare ziemlich tief in den Nacken gerutscht waren.
Als er mit einer Mischung von Sorgfalt und trainierter Nachlässigkeit aus dem Wagen stieg und die Verandatreppe heraufkam, von Frau Martha ein wenig steif begrüßt, dachte Don Chaussee prüfend: Golfspieler oder Jäger. Jedenfalls kein Mann, der sich in seinem Büro vergrub. Man konnte ihn sich als guten Schützen vorstellen, rasch, sicher, und als Erzähler von Jägerlatein.
Frau Martha unterbrach seine Betrachtungen. Ganz im Gegensatz zu dem sonstigen kühlen und ein wenig flachen Ton ihrer Stimme sprach sie jetzt mit einem kleinen heiseren Zögern: »Eh — mein Mann !« Über ihre feste, weiße Haut lief ein kaum wahrnehmbares Zucken. Schämt sich vor dem Chef, dachte Don Chaussee. Na ja, viel Staat ist mit mir auch nicht zu machen. Nicht gerade angenehm für eine Frau wie Martha, so eine Situation. Dann grinste er breit: Heute konnten sie ihn alle mal gern haben! Er streckte Herrn Ess die Hand hin. »Krapp«, sagte er.
»Freut mich, freut mich !« Herr Ess hatte sich den davongelaufenen und wieder heimgekehrten Ehemann anders vorgestellt. Er gefiel ihm beim ersten Hinsehen. »Sie müssen mit frühstücken«, sagte er spontan.
Die Besuchstage verliefen nach einem Programm, das sich nach und nach herausgebildet hatte. Herr Ess kam gegen neun, nahm ein leichtes Frühstück, ließ sich Bericht erstatten, machte einen Rundgang durch den Park, schlenderte auch wohl einmal zum Nachbarhof hinüber, nahm einen kleinen Imbiß und fuhr zur Stadt zurück. Früher war er öfter gekommen und länger geblieben, hatte sich schon mal mit den Kindern beschäftigt und Spielsachen mitgebracht. Mittlerweile war — wie Frau Martha ihrem Mann achselzuckend erklärte — das Neueste davon, und er kam seltener.
Der Kaffeetisch auf der Terrasse war in steifer Gespreiztheit gedeckt. Herr Ess bestand darauf, daß das Ehepaar Krapp mithalten müsse. Frau Martha begann gleich zu berichten: über die Schulleistungen der Kinder, die sie regelmäßig mit dem Lehrer durchsprach, über ihr Verhalten im Heim, ihre langsame, jedoch verfolgbare Entwicklung zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft.
Don Chaussee schwieg. Er stippte ein reichlich gebuttertes Brötchen in den heißen Kaffee und lutschte es, zum Entsetzen seiner Frau, genüßlich auf. Ihr verwandeltes, dienstbeflissenes Wesen in Gegenwart ihres Chefs ärgerte ihn, und so ärgerte er sie auf seine Weise eben wieder. Herr Ess stutzte kurz, ehe ein Schimmer des Behagens über seine Züge glitt. »Ah, machen Sie das auch so gern ?« fragte er begeistert. »Früher mochte ich Brötchen am liebsten krachend rösch, aber jetzt stippe ich mit Vorliebe. Natürlich nur, wenn ich ganz, ganz allein bin.« Er zwinkerte Frau Martha zu und tunkte mit einem entschuldigenden Hochziehen der Brauen sein Brötchen ebenfalls in den Kaffee.
Frau Martha bemühte sich, es zu übersehen. Sie konzentrierte sich stärker auf ihren Bericht, der sich nun ohnehin dem katastrophalen Wochenende näherte.
»Esel?« Herr Ess war nur maßvoll interessiert, bis ihm aufging, um was es sich handelte. Er zerdrückte gerade ein ganz frisches Landei zwischen Zunge und Gaumen und überlegte, weshalb wohl in drei Teufels Namen seine Köchin daheim diese simple Köstlichkeit nie so kochen konnte, als er auch schon den Mund mit eben diesem Ei allen Regeln feinerer Lebensart entgegen aufriß, hastig schluckte und sich prompt verschluckte. Vier Hände klopften ihm hilfreich den Rücken. Frau Martha konnte mit dem Erfolg ihres Berichtes außerordentlich zufrieden sein. Mochte Josef nun selber sehen, wie er sich aus der Eselei zog.
Don Chaussees Grinsen wurde augenblickslang etwas dünn; dann faßte er sich und erzählte die ganze Geschichte von Anfang an. Statt entsetzt zu sein, amüsierte sich Herr Ess königlich. Gegen Ende verdüsterte sich seine Miene. »Wurstfabrik, sagen Sie? Das ist ja unerhört! Das ist völlig ausgeschlossen! Was denken Sie, die ganze Stadt würde toben, wenn sie das hörte. Ich bin Ehrenvorsitzender des Tierschutzvereins — seit
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