13 alte Esel
Richtigkeit seines Verhaltens. Leo war ein Bulle; er hatte nur rohe Gewalt kennengelernt. Ehe man ihm nach und nach andere Begriffe beibrachte, mußte man ihn erst einmal gründlich zusammenfalten — was hiermit geschah. Und zwar diesmal so gründlich, daß Leo zum Schluß stöhnend im Sand rollte.
Don Chaussee wartete, bis er selbst wieder normal atmete. Dann hob er den völlig benommenen Burschen beim Kragen hoch und lehnte ihn an die Kastanie gegenüber. Die Aussprache, die folgte, war kurz und kernig und enthielt keine einzige Wendungj die Leo nicht trotz seiner augenblicklich verminderten Denkfähigkeit sofort begriffen hätte. Sie schloß mit den Worten: »Du kannst also wählen: entweder — oder! Wenn du von jetzt an mit mir arbeiten willst, weißt du, was du zu tun hast; wenn du gegen mich bist, weißt du, was dir blüht !«
Leo leckte sich ein paar Blutstropfen von der geschwollenen und aufgesprungenen Oberlippe und nickte mühsam. In seinen Augen dämmerte Bewunderung auf.
Von ferne hatten zwei Leute das Schauspiel betrachtet. Der Pastor sagte versonnen hinter dem Qualm seiner Pfeife her: »Daniel vier, drei: >Zu terselben Zeit kam ihm sein Verstand wieder<«, und Hubert hörte es und grinste vor sich hin.
Don Chaussee ging zurück zur Wiese, wo soeben Habakuk getauft worden war und die Kletten Onkel Otto vorführten. Obwohl Herr Ess nahezu alle seine Schilder noch in der Hand hatte, war er mit den Namenswahlen offensichtlich zufrieden, denn die allgemeine Fröhlichkeit war wieder aufgelebt. Ein Teil der Gäste begann bereits, sich in den Park zu verkrümeln, um auf Förster Kösters’ Anregung hin eine »Eichelsammelaktion für notleidende Esel« zu starten. Selbst Oma Bormann war von der Bowle so beschwingt, daß sie hinterdrein humpelte und ihre feine Sonntagsschürze als Spendendepot aufhielt. So fand Leo nicht mehr gar so viel verblüfftes Publikum, als er, mit niedergeschlagenen Augen und vor lauter Verlegenheit schon fast wieder ruppig, notdürftig abgeklopft auf Herrn Ess zurollte und hervorquetschte: »Ich wollte mich man bloß — hem — entschuldjen... und vielleicht sind die Prophetennamen doch wohl besser — rhm...«
Herr Ess sah zuerst auf die geschwollene Oberlippe, dann auf Don Chaussee, der harmlos grinste, schüttelte verständnislos, aber friedlich resigniert den Kopf und sagte: »Das ist ja anständig. Na, da trink mal ‘nen Schluck .«
Zehn Minuten später wäre aus der Versöhnung vermutlich nichts mehr geworden.
Der letzte Esel war Malwines Liebling. Sie hatte den ganzen Trubel hinter Mutter Müntes breitem Rücken versteckt an sich vorüberrauschen lassen. Der Kopf tat ihr weh von all dem Lärmen.
Weshalb schrien die Leute nur immerzu so? Sie erkannte ihn und
lächelte.
»Nun zeig uns mal deinen Esel, willst du ?«
»O ja.« Das tat sie gern, ihren hübschen, sanften Esel zeigen.
Sie lief schnell auf ihn zu. Er stand allein noch in der Ecke, halb zwischen die Büsche gepreßt, ein wenig ängstlich ohne Herde. Irgend jemand hatte ihm Habakuks Halfter übergestreift. Mal-wine griff hinein. »Komm schön«, sagte sie, »die wollen dich sehen« und streichelte zärtlich seine Nase.
Das blinde Auge den Betrachtern zugewandt, unsäglich kümmerlich, verschorft, verbeult, brandmager, die langen Ohren schlaff geknickt, so trottete er hinter Malwine her, die selig lächelte. Und alle, die da standen, sahen an seinem quastenlosen Schwanz eine schrillrote Schleife baumeln.
Vor Herrn Ess angekommen, zog sie den Esel herum, daß man nun auch seine rechte Seite sah. Im gleichen Moment malte sich Bestürzung auf den Gesichtern; ein, zwei Leute zogen hörbar den Atem durch die Zähne. Die Bürgermeisterin flüsterte: »Schrecklich! Wie ka...« und schlug sich die Hand vor den Mund.
Malwines Augen, die auf keinen und alle gerichtet waren, begannen zu flattern. Instinktiv folgte sie der Richtung der Blicke, sah, was die anderen sahen: das Schild, das, in die Haare gebunden, auf der rechten Seite des Eselshalses hing: »Malwine, der häßlichste Esel der Welt !« Das kleine Lächeln um ihre Lippen gefror. Ihr weißes Gesichtchen bekam einen bläulich durchsichtigen Schimmer. Man sah, wie sie die Buchstaben entzifferte, langsam — und plötzlich taumelte wie von einem Stoß, als ihr unvermittelt die furchtbare Bedeutung des Satzes aufging. Die schielenden Augen irrten einmal über die Gesichter. Diesmal lachte keiner. Sie schwankte. Lisbeth Winkelmann stand zu weit nach links, um
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