13 alte Esel
ganz munter geworden, und sein Großvater war genauso, wie er ihn von jenem Neujahrsfest in Erinnerung hatte. Sicher würde es noch herrlich werden heute. Sein Esel ließ sich trotz des Stimmengewirrs willig herbeiziehen. Vermutlich hatte er in seinem langen Leben so endlos viele Stunden vor den offenen Türen lärmvoller Kneipen auf seinen Herrn gewartet, daß er gegen solche Geräusche unempfindlich geworden war.
Herr Ess sortierte die Namensschilder. »Wie heißt denn der nun ?« Ferdi blies die Backen auf und warf sich in die Brust. Seine Augen glänzten. »Hannibal !« schmetterte er. Über der Stirn stand ein kleines blondes Haarbüschel fröhlich hoch. Beifälliges Lachen ertönte.
»Wie? Das ist doch kein Prophet«, murmelte Herr Ess milde.
»Aber ein Held!«
Herr Ess sah Ferdi an, dann den Esel mit dem Heldennamen. »O Gott !« murmelte er, sich abwendend und die Nase schneuzend. Hinter dem Qualm der langen Pfeife sah er die Schultern des Pastors heftig auf und ab gehen. Dr. Kösters lachte. Aber auch mit Ferdi stießen natürlich alle an, und Hannibal bekam ein Käseplätzchen.
Jetzt schob Leo sich vor, breitbeinig, in der einen Hand ein Tau mit drei Eseln, die andere nachlässig in die Tasche gesteckt, die Unterlippe dick und verächtlich vorgeschoben. Sein Bürstenhaar sträubte sich. Als Frau Martha ihn so sah, nahm ihr eine eisige Beklommenheit den Atem. Es war gleich wieder vorbei, doch merkte sie mit Schrecken, daß sie sich vor dem Fortgang des Nachmittags fürchtete, wirklich fürchtete.
»Ah«, strahlte Herr Ess, »du hast den vom kleinen Uwe und von...«, er sah sich suchend um, vermißte Änne, »und Änne gleich mitgebracht. Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, was?«
Leo grunzte. Sein Blick streifte die Gruppe der anderen, die gespannt zu warten schienen. Hinter dem Schuppen tauchte für einen Moment Ännes unordentlicher Haarschopf auf. Leo schürzte frech die Lippen.
»Das sind — nein, laß mich mal raten: Habakuk, Micha und Jeremias. Stimmt’s ?« Herr Ess hielt ihm drei Schilder hin.
»Nee«, sagte Leo, höhnisch zu Frau Martha hinübersehend, »nee, die heißen Scheißkerl, Mistvieh und Drecksau .« Er grinste so unverschämt, daß das Lachen jäh verebbte. Bestürzung und Verständnislosigkeit malte sich auf den Zügen der Gäste. Frau Marthas Hand mit dem Bowlenlöffel zitterte so, daß er knallend gegen den tönernen Eiertopf schlug. Es war der einzige Laut in einer beklommenen Stille, die ihr endlos vorkam. Das wagten sie! Gestern noch hatten sie pariert wie immer, heute morgen noch — und nun, vor all den fremden Leuten... Ihr Blick traf den ihres Mannes, verhielt hilfeflehend einen zitternden Moment lang. Er nickte mit fremdem schmalen Mund.
Herrn Ess’ Miene war jäh verschattet. »Das genügt«, sagte er eisig und wandte sich ab.
»Geh sofort ins Haus !« Frau Marthas Stimme schwankte. Sie biß sich auf die Lippen, um nicht zu weinen vor Schmach.
Leo zuckte frech die Schultern und rollte sich, die Hände wie stets in die Hosentaschen vergraben und den fetten Nacken zwischen die Schultern gezogen, durch die zurückweichenden Gäste aufs Haus zu fort.
Denen hatte er es aber mal gegeben, mit ihrem blöden Theater! Und alles, was ihnen zur Strafe einfiel, war, ihn ‘reinzuschicken. Er begann zu pfeifen. Ein übles Gefühl beschlich ihn, als er an das Gesicht von Herrn Ess dachte. Pöh, sagte er gleich darauf zu sich selber, hat mir ja nicht mal eine ‘runtergehauen, der Feigling. Und die anderen sahen, daß er es doch gewagt hatte! Er wagte alles. Schön wütend war die Alte gewesen. Hatte fast geheult. Pff!
Hinter dem Schuppen erwog er schon, ob er statt ins Haus nicht überhaupt ins Wäldchen gehen solle, als er aufstöhnend in die Knie sackte. Eine stahlharte Klammer umschloß sein Genick, schüttelte ihn, daß ihm Hören und Sehen verging, und ließ dann so unvermittelt los, daß er drei Schritte zurücktaumelte.
»Sieh mich an«, sagte Don Chaussee, »und jetzt nimm die Fäuste hoch, du Schweinehund !«
Das waren Töne, die Leo von der Wiege an gehört und respektiert hatte. Er ballte die Fäuste, um die Schläge abzuwehren, die exakt auf ihn niederprasselten. Don Chaussee machte ganze Arbeit. Bei aller Unscheinbarkeit war er sehnig und zäh; kaum jemand hätte die Kraft in ihm vermutet, über die er notfalls verfügte. Nie hätte er gedacht, daß er mal einen Jungen von vierzehn niederboxen würde, aber zugleich kam ihm nicht der leiseste Zweifel an der
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