13 alte Esel
wolkenlos. Es war einer jener Tage, an denen die bloße Freude am Dasein wie ein Rausch wirkt, das Blut schneller pulsiert.
Die Damen schwitzten nach dem vielen starken Kaffee; sie lauschten dem übermütigen Wortgeplänkel, schrankenlos bereit zum Mitlachen. Selbst Opa Bormann, der fast nichts verstand, wischte sich die Augen mit einem rotbedruckten, seidenen Taschentuch und gluckerte richtig vor Spaß, weil der Herr Pastor so lustig war. Hinter dem Gebüsch seitlich der Eselswiese standen die Kinder und starrten düster auf die Erwachsenen, die da ihr Fest allein feierten. Don Chaussee entdeckte sie zunächst nicht. Er hätte sie so gern dabeigehabt, wenngleich er wußte, daß sie die Erwachsenenfröhlichkeit nicht verstehen würden. Gerade bestürmten die Gäste den Pastor, ihnen doch jedem einen passenden Propheten auszusuchen, was der vergnügte Herr nur allzu bereitwillig tat. »Für unseren Chastgeber schlage ich Hesekiel vor, denn der sagt von ihm, Kapitel achtundzwanzig, Vers sechzehn: >Infolche deines auschedehnten Handelsverkehrs füllt sich dein Herz mit Frevel !< «
Pfarrer Winkelmann war in seinem Element. Mit schier unglaublicher Geschwindigkeit dröhnte er Zitat auf Zitat hervor, im besten Kanzelstil. Selbst seine alten Freunde hatten ihn kaum je so angeregt gesehen; die Esel schienen ihn biblisch zu befeuern. Als die Bürgermeisterin fragte, ob denn auch wohl immer Zitat und Prophet zusammengehörten, reckte er seine mächtige Gestalt im schwarzen Rock und donnerte: »Jesaja sieben, neun: >Habt ihr keinen Chlauben, so werdet ihr keinen Bestand haben !< «
»Aber Hochwürden...« Sie fuhr erschreckt zurück und machte schleunigst ein andächtiges Gesicht.
In der letzten Reihe der Zuhörer, die seine Gelehrsamkeit bestaunten, wand Fräulein Lisbeth sich ihr Taschentuch um die Hand und steckte den Zipfel in den Mund, um nicht durch unpassende Töne ihre steigende Heiterkeit zu verraten. »Den ganzen Tag hat er gestern die Propheten gewälzt«, flüsterte sie Don Chaussee zu, »aber verraten Sie es nicht. Zitate sind seine einzige Eitelkeit, und er ist der beste Mensch unter der Sonne, so kann’s ihm der Herrgott einfach nicht verübeln .«
»Hosea«, der Pfeifenstiel tippte auf die schmale Brust des Bürgermeisters und Ladenbesitzers Große-Witte, »Hosea sagt von ihm: >Als echter Kanaanäer führt er eine falsche Waache in der Hand; er liebt es zu betrüchen .< «
»Also, das ist nicht wahr !« Die Bürgermeisterin vergaß Zeit und Ort, und erst das brausende Gelächter erinnerte sie daran, daß es ja nicht um die Ehre, sondern ums Vergnügen ging.
Und ganz plötzlich dann drehte der Pfarrer sich herum, maß Waldemar Müller mit einem Blick, unter dem der Betroffene errötete und der den Rest mit Spannung erfüllte, und sagte: »Jona !« Herr Müller lächelte ungewiß, die anderen schwiegen erwartungsvoll.
»Jona«, hub der Pastor wieder an, Herrn Müller mit dem Pfeifenstiel vielsagend mehrmals auf die Brust tippend, »Jona eins, zwölf: >Nehmt mich und werft mich ins Meer, denn ich erkenne, daß dieser chewaltige Sturm durch meine Schuld üper euch chekommen ist !< «
Don Chaussee hatte die Kinder entdeckt und herbeigeholt, die Esel standen alle ganz rechts in der Ecke.
»Einer hat sich selbständig gemacht«, rief die Försterin, »sollen wir den nicht erst zurückholen ?«
Hubert, den Igel im Karton unter dem Arm, winkte ab. »Das ist meiner. Bei dem nehmen Sie man lieber ‘ne Ferntaufe vor, sonst...« Er wies mit dem Kopf bezeichnend auf Arm und Bein. »Das ist ‘n Verbrecher !«
»Huh!«
Das leise Grauen, mit dem aller Blicke sich auf den einsamen Esel am anderen Wiesenende richteten, erfüllte ihn mit Stolz. Sein Feind! »Beißt ganz ordentlich«, sagte er schnodderig.
»Also ein falscher Prophet«, bemerkte Herr Ess trocken. »Und auf welchen Namen soll er getauft werden ?«
An Huberts Statt antwortete der Pastor. »Hosea acht, neun: >Ein Wildesel, der einsam für sich läuft, ist Ephraim< .«
Hubert murmelte abwägend: »Ephraim« und nickte zustimmend. Der Name gefiel ihm.
»Na, denn prost, Ephraim !«
Jeder stieß mit Hubert an. Frau Martha fand das Ganze eine : alberne, unchristliche und pädagogisch falsche Angelegenheit und eines Pfarrers zudem unwürdig, konnte jedoch nicht umhin, unter dem heiteren Wortschwall ihres Chefs selber die Bowle auszuschenken.
Besorgt, ein anderer könne sich vordrängen, flitzte als nächster Ferdi wieselflink herbei. Er war wieder
Weitere Kostenlose Bücher