13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
geflossen!“
„Er selbst trägt die Schuld daran! Was überhaupt geht denn dich seine Rache an?“
„Ich bin sein Bruder und Erbe!“
„Jetzt lebt er noch und kann sich selbst rächen. Oder ist er ein Kind, daß du schon vor seinem Tod für ihn handeln mußt? Du nennst dich einen Christen und sprichst von Blutrache! Von wem hast du dieses Christentum erhalten? Ihr habt einen Katolihka (Patriarch), einen Mutran (Erzbischof), einen Khalfa (Bischof); ihr habt Arkidjakoni (Archidiakonen), Keschihschi (Priester), Schammaschi (Diakonen), Huhpodjakoni (Subdiakonen) und viele Karuhji (Vorleser). Ist denn unter diesen nicht ein einziger gewesen, der euch gesagt hat, was der Sohn der Mutter Gottes lehrte?“
„Es gibt keine Mutter Gottes. Marryam war nur die Mutter des Menschen Aïssa!“
„Ich will nicht mit dir streiten, denn ich bin weder ein Priester noch ein Missionar. Aber du glaubst doch, daß dieser Mensch Aïssa (Jesus) zugleich wahrer Gott gewesen ist?“
„Das glaube ich.“
„So wisse, daß er uns und euch geboten hat: Liebet eure Feinde; segnet die, welche euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen; dann seid ihr Kinder eures Vaters im Himmel!“
„Ich weiß, daß er diese Worte gesagt hat.“
„Warum aber gehorchst du ihnen nicht? Warum redest du von Blutrache? Soll ich, wenn ich in mein Land zurückkehre, erzählen, daß ihr keine Christen, sondern Heiden seid?“
„Du wirst nicht zurückkehren!“
„Ich werde zurückkehren, und du am allerwenigsten wirst mich halten können. Siehe dieses Holz, welches ich in das Feuer werfe! Ehe es verbrannt ist, bist du eine Leiche, oder du hast mir versprochen, uns als deine Gastfreunde zu behandeln, deren Mißachtung die größte Schande deines Hauses und deines Stammes sein würde.“
„Du würdest mich töten?“
„Ich würde sofort aufbrechen und dich als Geisel mit mir nehmen; ich müßte dich aber töten, wenn man mich am Weggehen hinderte.“
„Darm bist du auch kein Christ!“
„Mein Glaube gebietet mir nicht, mich feig und unnütz abschlachten zu lassen, sondern er erlaubt mir, das Leben zu verteidigen, welches mir Gott gegeben hat, um den Brüdern nützlich zu sein und mich auf die Ewigkeit vorzubereiten. Wer mir diese kostbare Zeit gewaltsam verkürzen will, gegen den werde ich mich verteidigen, so weit es meine Kraft gestattet. Und daß diese Kraft nicht die eines Kindes ist, das hast wohl erfahren!“
„Chodih, du bist ein gefährlicher Mensch!“
„Du irrst. Ich bin ein friedfertiger Mensch, aber ein gefährlicher Feind. Blicke in das Feuer! Das Holz ist beinahe verbrannt.“
„Gib mir Zeit, mit meinem Bruder zu sprechen!“
„Nicht einen Augenblick!“
„Er verlangt dein Leben!“
„Er mag es sich holen!“
„Ich kann dich nicht freigeben.“
„Warum nicht?“
„Weil du gesagt hast, daß du den Bey nicht verlassen willst.“
„Dieses Wort werde ich halten.“
„Und ihn darf ich nicht entlassen. Er ist der Feind der Chaldani, und die Kurden von Berwari werden sicher kommen, um uns anzugreifen.“
„Hättet ihr sie ihres Weges ziehen lassen! Ich erinnere dich zum letztenmal, daß dieses Holz bereits in Asche zerfällt.“
„Nun wohl, Herr; ich muß dir gehorchen, denn du bist imstande, deine Drohung wahrzumachen. Ihr sollt meine Gäste sein!“
„Auch der Bey?“
„Auch er. Aber auch ihr müßt mir versprechen, Lizan nicht ohne meine Erlaubnis zu verlassen!“
„Ich verspreche es.“
„Für dich und alle anderen?“
„Ja. Doch ich stelle einige Bedingungen.“
„Welche?“
„Wir dürfen alles behalten, was uns gehört!“
„Zugestanden!“
„Und sobald man sich feindselig gegen uns verhält, bin ich meines Versprechens entbunden?“
„So sei es!“
„Nun bin ich zufrieden. Reiche uns deine Hand, und dann magst du zu dem Verwundeten zurückkehren. Soll ich ihn verbinden?“
„Nein, Herr! Dein Anblick würde ihn zur größten Wut entflammen, und es wird wohl andere Hilfe geben. Ich zürne dir, denn du hast mich besiegt. Ich fürchte mich vor dir, aber ich habe dich dennoch lieb. Eßt euer Lamm, und schlaft dann in Frieden. Es wird euch niemand ein Leid tun!“
Er reichte uns allen die Hand und kehrte dann in das Haus zurück. Dieser Mann war mir nicht mehr gefährlich. Und auch den Mienen der anderen sah man es an, daß unser Verhalten nicht ohne tiefen Eindruck geblieben sei. Dem Mutigen gehört die Welt, und Kurdistan
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