13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
unrecht. – Ich schwöre nicht, aber ich verspreche es dir und werde mein Wort halten.“
„Ich glaube dir.“
Sie erhob sich und versuchte es, die Riemen in meinem Nacken zu lösen. Ich gestehe reumütig, daß mir in diesem Augenblick der Duft der guten alten ‚Petersilie‘ nicht im geringsten widerwärtig war. Ihr Vorhaben gelang, und ich streckte die schmerzenden Arme mit Wonne aus und gönnte der so lange eingepreßten Brust einen tiefen Atemzug. Madana aber nahm von jetzt an ihren Platz draußen vor der Hütte, wo sie jeden Nahenden bereits von weitem sehen und hören konnte. Daß unsere Unterhaltung durch die Türöffnung fortgesetzt werden könne, bewies mir die brave Alte auf der Stelle.
„Wenn jemand kommt, werde ich dich einstweilen wieder binden“, sagte sie; „und dann – dann – dann – – – o Herr, würdest du wiederkommen, wenn ich dir erlaube, einmal fortzugehen?“
„Ja. Wohin aber soll ich gehen?“
„Hinüber auf den Berg, zum Ruh 'i kulyan.“
Ich horchte erstaunt auf. Das war ja ein Abenteuer, wie mir noch selten eines geboten worden war. Ich sollte heimlich aus meiner Gefangenschaft beurlaubt werden, um den geheimnisvollen ‚Geist der Höhle‘ kennenzulernen.
„Ich gehe, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich ganz sicher wiederkomme!“ versprach ich Madana mit Freuden. „Aber ich kenne den Weg nicht!“
„Ich rufe Ingdscha, welche dich führen wird.“
Ingdscha heißt ‚Perle‘. Dieser Name war vielversprechend.
„Wer ist Ingdscha?“ erkundigte ich mich neugierig.
„Eine der Töchter von Nedschir-Bey.“
„Von diesem?“ fragte ich überrascht.
„Die Tochter ist anders als der Vater, Herr.“
„Aber wird sie mich auf den Weg führen, da sie weiß, daß es ihrem Vater gilt?“
„Sie wird. Sie ist der Liebling Marah Durimehs, und ich habe mit ihr gesprochen von dem fremden Emir, welcher das Gift besiegt und dessen Waffen niemand widerstehen kann.“
Also war mein Ruf als Wunderdoktor selbst bis hierher gedrungen. Erstaunt fragte ich:
„Wer sagt das?“
„Dein Diener hat es in Amadijah dem Vater der Kranken erzählt, und Marah Durimeh hat es Ingdscha wiedergesagt. Sie ist begierig, einen aus Frankistan zu sehen. Soll ich sie rufen, Herr?“
„Ja, wenn es nicht viel zu gewagt ist.“
„Dann aber muß ich dich vorher binden, doch bloß, bis ich wiederkomme.“
„So tu es!“
Ich ließ mich unter diesen Umständen ganz gern wieder fesseln, und als dies geschehen war, verließ die Alte die Hütte. Bald kehrte sie zurück und meldete, daß Ingdscha kommen würde. Sie entfesselte mir die Hände, und ich fragte, ob sie im Dorf gewesen sei, und äußerte die Besorgnis:
„Aber wenn man dich gesehen hat? Du sollst mich doch bewachen!“
„O, die Männer sind nicht daheim, und die Frauen, welche mich ja gesehen haben können, werden mich nicht verraten.“
„Wo sind die Männer?“
„Sie sind gen Lizan gegangen.“
„Was tun sie dort?“
„Ich habe nicht gefragt. Was geht mich das Treiben der Männer an! Wenn Ingdscha kommt, wird sie es dir vielleicht sagen.“
Die Alte setzte sich wieder vor die Tür. Nach einiger Zeit aber stand sie eilig auf und lief einer sich nahenden Person entgegen. Ich hörte vor der Hütte ein leises Geflüster, und dann verdunkelte sich der Eingang, um die ‚Perle‘ einzulassen.
Gleich der erste Blick auf die Eingetretene sagte mir, daß der Name Ingdscha hier ganz an seinem Platz sei. Das Mädchen mochte neunzehn Jahre zählen, war hoch gebaut und von so kräftiger Körperform, daß sie ohne Bedenken die Frau des Flügelmannes aus der alten, preußischen Riesengarde hätte werden können. Dennoch war das Gesicht ein mädchenhaft weiches und hatte jetzt, dem Fremden gegenüber, sogar einen sehr bemerkbaren Anflug von Schüchternheit.
„Sallam, Emir!“ grüßte sie mit fast leiser Stimme.
„Sallam!“ antwortete ich. „Du bist Ingdscha, die Tochter des Raïs von Schohrd?“
„Ja, Herr.“
„Verzeih, daß ich mich nicht erhebe, um dich zu begrüßen. Ich bin an diesen Pfahl gebunden.“
„Ich denke, Madana hat dich einstweilen frei gemacht?“
„Nur die Hände.“
„Warum nicht auch das übrige?“
Sie bog sich sofort zu mir nieder, um mir die Stricke zu lösen, aber ich wehrte ab:
„Ich danke dir, du Gute! Aber ich bitte dich dennoch, es nicht zu tun, da wir zu lange Zeit brauchen, um mich wieder zu binden, wenn jemand kommt.“
„Madana hat mir alles erzählt“, erwiderte sie.
Weitere Kostenlose Bücher