13 kleine Friesenmorde
Seine Frau Annchen besorgte den Abwasch und bereitete das Mittagessen vor. Sie benötigte den Wagen zur Erledigung des Einkaufes und hatte anschließend einen Termin bei ihrer Friseurin.
Morgen war Karfreitag. Ihre Tochter Gesine mit den Kindern und dem Schwiegersohn hatten ihren Besuch in Norddeich angesagt. Das hatte Tradition. Harald und Annchen hatten ihren Bungalow auf der Kolkstraße für die Besuche ihrer Tochter und Söhne entsprechend großzügig errichtet und eingerichtet.
Harald Feeken stieg über die Treppe des Fährkellers auf die Hafenstraße und warf einen Blick auf die Mole. Die Wagen der frühen Urlauber reihten sich bereits auf dem Anleger der Reederei. Die »Frisia I« näherte sich der Fahrrinne mit Kurs auf den Hafen.
Der Ruheständler ging zielstrebig über den Kai an den Fischkuttern entlang zu den gelb gestrichenen Hallen, in denen die Schiffe der Clubmitglieder aufgebockt überwinterten.
An diesem Donnerstag lag über der ostfriesischen Küste ein stabiles Hoch. Der Wind blies aus Süd-West mit Stärke 3 bis 4. Die Luft war mild und würzig. Bereits am Morgen stieg das Thermometer auf stolze 10 Grad an.
Harald Feeken betrat die Halle. Der beißende Geruch nach frischer Farbe strömte ihm entgegen. Er vernahm das Hämmern und Dröhnen einer Schleifmaschine. Emsig waren seine Kollegen dabei, an ihren Schiffen Hand anzulegen, denn Mitte April begann die Segelsaison.
Seine Jacht befand sich im hinteren Teil der Halle. Er hatte das 12 Meter lange, 3,60 breite und 1,65 tiefe und mit einem Mast von 14,80 Metern Höhe über der Wasserlinie versehenen Schiff im Gedenken an seinen Großvater Berend Feeken, der als Kapitän eines Großseglers nicht nur mehrmals das berüchtigte Kap Hoorn umsegelt hatte, sondern auf seinen Reisen nach China, Süd- und Nordamerika den Gewalten der Meere bis ins gesetzte Alter getrotzt hatte, auf den Namen »Rysum« getauft.
Der geachtete Kapitän Berend Feeken hatte auf dem Friedhof des kleinen Dorfes Rysum in der Krummhörn seine letzte Ruhe gefunden.
Harald Feeken grüßte einige Kollegen, denen er begegnete, stieg über die angelehnte Leiter an Bord, zog unter Deck seinen Blaumann über, holte aus dem Abstellraum den Farbeimer, Pinsel, Stahlbürste und Schaber und begab sich an die Arbeit. Es war ihm zurGewohnheit geworden, den Transistor auf N3 einzustellen, um während seiner Tätigkeiten an Bord die hervorragend moderierten Sendungen aus dem Bereich der klassischen Musik zu empfangen, die ihn ablenkten von seinen körperlichen Belastungen, war er doch immerhin bereits über 65.
Auch seine Frau Annchen, auf deren Mitarbeit er heute verzichten musste, liebte diese ablenkende, musikalische Berieselung.
Um 13 Uhr verließ er die »Rysum«, danach die Halle, ging eilig an den spazierenden Urlaubern vorbei, nahm die Treppe neben dem Fährhaus, betrat die Molenstraße und näherte sich hungrig dem Bungalow an der Kolkstraße, wo seine Frau Annchen ihn bereits mit ondulierten, schick gelegten Locken und mit leicht geröteten Wangen erwartete, als er die Küche betrat. Der Tisch war gedeckt. Annchen trug ihre Jeans und den Troyer und blickte ihn geheimnisvoll an. Dabei hielt sie ihren rechten Arm hinter den Rücken.
»Was ist?«, fragte Harald Feeken verunsichert.
»Wie wäre es, wenn wir von unseren Mieteinnahmen und den Dividenden unseres Aktienpaketes einen Teil abzweigen würden?«, fragte sie und lächelte verschmitzt. »Den Kindern geht es gut! Sie haben eine Zukunft, wir nur noch eine Vergangenheit in Bescheidenheit mit dumpfen Erwartungen.«
»Mama . . . «, er war es gewohnt, Annchen so zu titulieren, ». . . bitte genauer! Was hast du vor?«
»Eine Reise nach Kalifornien!«, antwortete sie.
»Nun mal sachte«, antwortete Harald Feeken, ging um den Tisch und ließ sich auf der Küchenbank nieder.
»Eine Überraschung! Hier, lies!«, forderte sie ihrenMann auf und reichte ihm einen aus der Tageszeitung ausgeschnittenen Artikel.
»Ahnenforschung«, fügte sie grinsend hinzu.
Harald Feeken schüttelte verwirrt den Kopf und fuhr mit der Hand schaufelnd durch das volle graue Haar. Auch er trug Jeans und den Troyer.
Der Artikel enthielt ein Foto. Er betrachtete es nachdenklich. Es zeigte einen älteren Mann in schlottriger Hose. Er trug ein kragenloses Hemd, eine Weste und auf seinem Kopf einen breiten Hut. An seiner Seite befand sich ein jüngerer Mann, vermutlich der Sohn. Er war wie der Alte gekleidet. Auch er trug wie der Alte einen
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