13 kleine Friesenmorde
Erwartungen angereist, sondern auch mit der festen Absicht, sein Leben zu ändern, sich um seine Zukunft zu kümmern, denn, das war ihm klar, das würde ihm in Hamburg nicht gelingen.
Gretje Poppinga floss über vor Großmutterliebe. Sie hatte sich fest entschlossen, ihren Andy vor einem weiteren Abgleiten in die Kriminalität zu bewahren.
Dazu bot die ländliche Großgemeinde mit den Orten Arle, Berumerfehn, Menstede-Coldinne, Weserende und Ostermoordorf die besten Voraussetzungen. Sieunternahm mit dem Enkel Spaziergänge zum Fehnkanal, zum Hochmoor, begleitete ihn zu den Märkten, stellte Andy dem Pastor vor, der ihn in das »Jugend-Center« einführte und Andy mit den gleichaltrigen Großheidern bekannt machte.
Bereits am Freitagmorgen fuhr Oma mit Andy nach Norden. Sie stellte ihren Golf auf dem Parkplatz der Berufsbildenden Schule ab, übersah beflissen die Abneigung ihres Enkels, die er zum Ausdruck brachte, erinnerte Andy an seine gefassten Vorsätze und suchte mit ihm das Sekretariat der Schule auf.
Stefan Rogersen, der Schulleiter, ein korrekter, erfahrener Pädagoge, hatte bereits im Vorfeld mit Gretje Poppinga ein Gespräch geführt. Die Akte des straffälligen Zöglings war unterwegs. Einer Einschulung Andys in eine Klasse des Berufsvorbereitungsjahrs stand nichts im Wege.
Mit einer Bücherliste, Schülerausweis und Stundenplan versehen, spendierte Oma anschließend im Café ten Cate Kaffee und Kuchen, wünschte dem Enkel einen guten Start.
»Junge, und keine Post nach Kirchdorf. Such dir hier neue Freunde«, sagte Oma, als sie bezahlte und sie das Café verließen.
Sie fuhr mit Andy, der sich, hilflos überwältigt von der resoluten Art seiner Oma, ohne Einwände seinem Schicksal ergab, nach Hage. Ohne jede Vorankündigung betrat sie mit ihm den »Zweirad-Markt«.
Der Geschäftsführer bediente sie. »Ein Fahrrad für den jungen Mann?«, fragte er und taxierte die Länge des Kunden. »Ich empfehle Ihnen ein Hollandrad«, sagte er höflich.
Gretje Poppinga winkte ab. »Mein Enkel. Er wirdmorgen 17. Ich denke an einen Motorroller«, antwortete sie. Andy fiel aus allen Wolken. Er drückte die kleine Oma fest an sich und gab ihr einen Kuss.
»Andy besucht die Schule in Norden. Wir wohnen in Großheide. Der Bus . . . «, fügte sie hinzu.
Die Lehrer, die vom Schulleiter über die Laufbahn und Herkunft des neuen Schülers Andy Mulart informiert worden waren, suchten tastend nach pädagogischen Wegen, den Großstadtschüler in die Klassengemeinschaft zu integrieren. Es handelte sich um leistungsschwache, in der Mehrzahl willige Schüler, die Defizite aufzuarbeiten hatten, um einen Ausbildungsplatz zum Handelsfachpacker, Tankwart oder Kellner zu bekommen. Unter ihnen befanden sich etliche Rücksiedler, deren Deutschkenntnisse viel zu wünschen übrig ließen.
Andy, mit allen Wassern gewaschen, von der Großmutter verwöhnt, die gutmachen wollte, was ihre Tochter in einer nicht zu übertreffenden Herzlosigkeit angerichtet hatte, fand schnell die Achtung vor allem der einheimischen Schüler. Er wurde zum Klassensprecher gewählt. Er nervte die Lehrer mit seinen verrückten Ideen und Wünschen nach Unterrichtsthemen, die nicht im Lehrplan standen. Doch mehr noch stresste er während der Pausen die Aufsicht führenden Lehrer, wenn er sich hinter den Fahrradständern im Bereich des Werkstatttraktes mit den Russlanddeutschen prügelte, umgeben von einer Schar ihn bewundernden Mitschüler, die begeistert in die Hände klatschten, wenn er sie der Reihe nach absolvierte.
Auch im Großheider Jugendzentrum verhielt es sich ähnlich. Andy Mulart gab den Ton an. Er verdrängte dieweichen Typen, die mit gefärbten Haaren und Bierdosen in den Händen großkotzige Reden schwangen, ihren Frust mit dem Klauen von Mercedes-Sternen und dem Ausreißen von Blumen aus den Kübeln befriedigten.
Nicht genug. Neuerdings kam es häufig vor der Disko zu Rangeleien zwischen Russlanddeutschen, Asylanten und den Großheidern.
Schulleiter Stefan Rodgersen sah sich veranlasst, mit Andy Mulart ein ernstes Wort zu reden. Seine schulischen Leitungen boten keinen Anlass, einzuschreiten.
Er bat den Schüler zu sich in sein Direktorzimmer, ohne seine Oma davon in Kenntnis zu setzten, die bereits mit dem Inhaber der Tankstelle über einen Ausbildungsvertrag für Andy gesprochen hatte.
Andy betrat das Allerheiligste nicht kleinlaut, geduckt, sondern herausfordernd und abfällig grinsend. Er beteuerte seine Unschuld, machte die
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