13 - Wo kein Zeuge ist
gefallen, aber sie widersprach nicht. Sie kam auf die Füße und ging zur Tür. »War schön, Sie zu sehen, Simon«, sagte sie zu St. James. »Bis dann.«
»Hat mich auch gefreut«, antwortete St. James, ehe sie hinausging. Dann wandte er sich wieder an Lynley: »Probleme an der Barbara-Front?«
»Wann gibt es je etwas anderes mit Havers?«
»Ich hatte immer den Eindruck, du denkst, sie sei es wert.«
»Das tu ich auch. Sie ist es wert, meistens.«
»Und bekommt sie bald ihren Dienstgrad zurück?«
»Ich würde ihn ihr zurückgeben, trotz ihrer Dickköpfigkeit. Aber nicht ich treffe diese Entscheidung.«
»Hillier?«
»Wie eh und je.« Lynley lehnte sich zurück und nahm die Brille ab. »Er hat mich heute früh abgefangen, bevor ich noch den Aufzug erreicht hatte. Er hat versucht, die Ermittlungen mit Hilfe der Manipulationen des Pressebüros zu lenken, aber die Reporter sind nicht mehr so kooperativ wie zu Anfang, als sie noch dankbar waren für den Kaffee, die Croissants und die Informationshäppchen, die Hillier ihnen vorgesetzt hat. Anscheinend haben sie inzwischen zwei und zwei zusammengezählt: drei gemischtrassige Jugendliche, die vor Kimmo Thorne auf ähnliche Weise ermordet wurden, und bislang kein Auftritt eines Beamten von Scotland Yard bei dieser Verbrecherjagdsendung Crimewatch im Fernsehen. Was hat das zu bedeuten, wollen sie wissen. Was sagt das aus über die relative Wichtigkeit dieser Morde im Vergleich zu dem anderen Mord, bei dem das Opfer weiß, blond, blauäugig und zweifelsfrei angelsächsischer Abstammung war? Sie fangen an, die unangenehmen Fragen zu stellen, und jetzt bereut Hillier, dass er sich nicht bemüht hat, das Pressebüro in diesem Fall auf größere Distanz zu halten.«
»Hybris«, bemerkte St. James.
»Jemandes Hybris ist Amok gelaufen«, fügte Lynley hinzu. »Und es wird noch schlimmer. Das jüngste Opfer, Sean Lavery, war ein Pflegekind und lebte in Swiss Cottage bei einem engagierten schwarzen Aktivisten, der, wie Hillier mir gesagt hat, heute gegen Mittag selbst eine Pressekonferenz hält. Man kann sich vorstellen, welche Auswirkungen das auf die kollektive Blutgier der Medien haben wird.«
»Sodass es wieder einmal ein reines Vergnügen sein wird, mit Hillier zu arbeiten?«
»Amen. Der Druck ist überall enorm hoch.« Lynley betrachtete die Fotokopie des alchimistischen Zeichens und überlegte, inwieweit es Licht ins Dunkel bringen konnte. »Ich muss telefonieren«, sagte er zu St. James. »Ich hätte gern, dass du mithörst, falls du die Zeit erübrigen kannst.«
Er suchte nach der Telefonnummer von Hamish Robson und fand sie auf dem Aktendeckel des Berichtes, den der Profiler ihm gegeben hatte. Als er Robson am Telefon hatte, schaltete er den Lautsprecher ein und stellte St. James vor. Er zählte die Informationen auf, die St. James vorgetragen hatte, und dann bestätigte er Robsons Vorhersage: Er berichtete ihm, dass der Mörder Kontakt aufgenommen hatte.
»Wirklich?«, fragte Robson. »Telefonisch? Per Post?«
Lynley las ihm die Nachricht vor und fügte hinzu: »Wir schließen daraus, dass das Läuterungssymbol auf der Stirn und das Verbrennen der Hände zusammenhängen. Und wir haben auch etwas über dieses Ambra-Öl herausgefunden, das an den Leichen festgestellt wurde. Offenbar wird es für Werke des Zorns und der Rache verwendet.«
»Zorn, Rache, Läuterung und Erlösung«, sagte Robson. »Ich würde sagen, er macht seine Botschaft ziemlich klar, oder?«
»Es gibt Hinweise darauf, dass all das mit einer sozialen Einrichtung in Südlondon zusammenhängt«, erklärte Lynley. »Sie heißt Colossus. Es ist ein Programm für gefährdete Jugendliche. Haben Sie zum jetzigen Zeitpunkt irgendetwas hinzuzufügen?«
Es herrschte einen Moment Schweigen, während Robson nachdachte. Schließlich antwortete er: »Wir wissen, dass er überdurchschnittlich intelligent ist, aber gleichzeitig ist er frustriert, weil die Welt sein Potenzial nicht sieht. Wenn Sie ihm durch Ihre Ermittlungen nahe gekommen sind, wird er jetzt keinen einzigen falschen Schritt machen, der Sie noch näher heranbringen könnte. Also wenn er sich Jungen aus einer Einrichtung aussucht ...«
»Wie Colossus«, warf Lynley ein.
»Ja. Wenn er die Jungen von Colossus ausgewählt hat, habe ich die größten Zweifel, dass er dies weiterhin tun wird, wenn Sie dort Fragen stellen.«
»Wollen Sie damit sagen, die Morde werden aufhören?«
»Es wäre möglich. Aber nur für eine Weile. Das Töten gibt
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