13 - Wo kein Zeuge ist
ein Hund darauf herumgekaut. Die dazugehörigen Schläger lehnten an der Wand neben der Haustür, die meisten Saiten zerrissen.
Als Lynley klingelte, öffnete ein sehr kleiner Mann. Er stand nicht einmal mit Havers Auge in Auge, hatte einen massigen Oberkörper und sah aus wie jemand, der Bodybuilding betrieb, um seine geringe Körpergröße auszugleichen. Seine Augen waren gerötet, er war unrasiert und schaute an ihnen vorbei auf die Straße, als erwarte er jemand anderen.
»Bullen«, sagte er als Antwort auf eine Frage, die niemand ausgesprochen hatte.
»Ganz recht.« Lynley stellte sich selbst und Havers vor und wartete darauf, dass der Mann - von dem sie nur wussten, dass er Benton hieß - sie hereinbat. Durch eine geöffnete Tür hinter ihm erkannte Lynley ein abgedunkeltes Wohnzimmer und mehrere Menschen, die darin saßen. Eine quengelige Kinderstimme fragte, warum sie die Vorhänge nicht öffnen konnten, warum er nicht spielen dürfe, und eine Frau ermahnte ihn, still zu sein.
Barsch sagte Benton über die Schulter: »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe.« Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Lynley. »Wo ist Ihre Uniform?«
Lynley erklärte, dass sie nicht zur uniformierten Schutzpolizei gehörten, sondern in einer anderen Abteilung arbeiteten und von New Scotland Yard kämen. »Dürfen wir hereinkommen?«, fragte er. »Ist es Ihr Sohn, der vermisst wird?«
»Ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen.« Bentons Lippen waren trocken und schuppig. Er fuhr mit der Zunge darüber.
Er trat von der Tür zurück und führte sie durch einen Flur von knapp fünf Metern Länge ins Wohnzimmer. Im Halbdunkel dort saßen fünf Leute in Sesseln, auf dem Sofa, auf einer Fußbank und dem Boden. Zwei kleine Jungen, zwei halbwüchsige Mädchen und eine Frau. Sie sei Bev Benton, sagte sie. Ihr Mann heiße Max. Und dies seien vier ihrer Kinder. Sherry und Brenda die Mädchen, Rory und Stevie die Jungen. Ihr Davey sei derjenige, der vermisst werde.
Sie waren alle ungewöhnlich klein, stellte Lynley fest. Und sie alle hatten eine mehr oder minder ausgeprägte Ähnlichkeit mit dem toten Jungen in Queen's Wood.
Die Jungen müssten eigentlich in der Schule sein, erklärte Bev, die Mädchen bei der Arbeit an den Lebensmittelständen in Camden Lock Market. Max und Bev selbst sollten eigentlich in ihrem Fischwagen an der Chapel Street stehen. Aber niemand werde dieses Haus verlassen, ehe sie etwas von Davey gehört hatten.
»Irgendwas ist ihm passiert«, sagte Max Benton. »Sonst würden sie keine Zivilbullen schicken. Wir sind nicht so blöd, dass wir das nicht wüssten. Also, was ist es?«
»Es wäre vielleicht besser, wenn wir das ohne die Kinder besprechen«, erwiderte Lynley.
Bev Benton stieß einen schrillen Klagelaut aus. »O Gott!«
»Nimm dich zusammen«, schnauzte Max sie an und sagte dann zu Lynley: »Sie bleiben hier. Wenn sie etwas daraus lernen können, dann sollen sie das gefälligst tun.«
»Mr. Benton ...«
»So brauchen Sie mir gar nicht zu kommen«, unterbrach Benton. »Sagen Sie uns, was Sache ist.«
Lynley war nicht gewillt, nachzugeben. »Haben Sie ein Foto Ihres Sohnes?«, fragte er.
»Sherry, Liebling, hol dem Officer Daveys Schulfoto von der Kühlschranktür«, bat Bev Benton.
Eines der Mädchen - blond und hellhäutig wie der Junge im Wald, mit den gleichen zarten Gesichtszügen und der gleichen zierlichen Statur - verschwand eilig und kam ebenso schnell zurück. Sie gab Lynley das Foto, den Blick auf seine Schuhe gerichtet, und kehrte dann zu der Fußbank zurück, die sie mit ihrer Schwester teilte. Lynley blickte auf das Bild hinab. Ein kleiner Lausebengel grinste ihn an, das vom Gel dunkler wirkende Blondhaar zu einer Igelfrisur gestylt. Ein paar Sommersprossen zierten seine Nase, und über dem Pullover der Schuluniform hingen Kopfhörer um seinen Hals.
»Die hat er im letzten Moment umgehängt«, erzählte Bev Benton, als wolle sie die Kopfhörer, die nicht zur regulären Schulausrüstung zählten, erklären. »Er liebt Musik, unser Davey. Rap. Vor allem diese Schwarzen aus Amerika mit den seltsamen Namen.«
Der Junge auf dem Foto ähnelte der Leiche, die sie gefunden hatten, aber nur eine Identifizierung durch einen der Elternteile konnte Gewissheit bringen. Doch ganz gleich, welche Lektion Max Benton für seine übrigen Kinder erhoffte, Lynley war nicht bereit, sie zu erteilen. »Wann haben Sie Davey zuletzt gesehen?«, fragte er.
»Gestern Morgen.« Es war Max, der
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