13 - Wo kein Zeuge ist
Lynley.
»Augenblick. Ich hab die ganze Zeit nur an Colossus gedacht. Aber nie an Zauberei. Welcher Junge von fünfzehn Jahren oder jünger steht nicht auf Zauberei? Nein, Sir, warten Sie ...«, als Lynley sich abwenden und sie ihren Überlegungen überlassen wollte. »Wendy's Cloud ist in Camden Lock Market, gleich neben den alten Stallungen, wo Stables Market liegt. Wendy ist die meiste Zeit auf Drogen und kann sich nicht erinnern, wer was und wann gekauft hat. Aber sie hat Ambra-Öl geführt, das wissen wir, und als ich nach dem Gespräch mit ihr vor ein paar Tagen zu meinem Wagen zurückging, hab ich diesen Typen am Stables Market gesehen ...«
»Was für einen Typen?«
»Er war dabei, Kisten zu entladen. Er hat sie zu einem Zaubereistand oder so etwas Ähnlichem gebracht, und er war ein Zauberer. Das hat er gesagt. Es kann doch nicht mehr als einen im Stables Market geben, oder? Und wissen Sie was, Sir? Er hat einen Lieferwagen.«
»Rot?«
»Violett. Aber im Licht einer Straßenlaterne um drei Uhr morgens oder so ... Man steht am Fenster, man erhascht einen Blick, man denkt sich nichts dabei, denn das hier ist schließlich eine große Stadt, und warum sollte man annehmen, dass man sich alles genau merken muss, wenn man morgens um drei einen Lieferwagen auf der Straße sieht?«
»War der Wagen beschriftet?«
»Ja. Eine Magierwerbung.«
»Das ist nicht, wonach wir suchen, Havers. Das ist nicht das, was wir auf dem Überwachungsvideo von St. George's Gardens gesehen haben.«
»Aber wir wissen doch nicht, was das für ein Van war, da in St. George's Gardens. Es könnte der Parkwächter gewesen sein, der das Tor aufsperren wollte. Oder jemand, der irgendwas reparieren wollte.«
»Um drei Uhr morgens? Mit einem verdächtigen Werkzeug in der Hand, das geeignet schien, das Schloss am Parktor aufzubrechen? Havers ...«
»Hören Sie mir noch einen Moment zu. Bitte. All das könnte innerhalb der nächsten Stunde eine logische Erklärung finden. Der Kerl könnte einen legitimen Grund gehabt haben, in St. George's Gardens zu sein, und was Sie für ein Werkzeug gehalten haben, hatte vielleicht etwas mit diesem legitimen Grund zu tun. Er könnte alles Mögliche getan haben: eine Reparatur, pinkeln, Zeitungen austragen, Testfahrt mit einem neuen Milchauto. Alles denkbar. Worauf ich hinauswill ...«
»In Ordnung. Ja. Ich verstehe.«
Sie fuhr fort, als sei Lynley immer noch nicht überzeugt. »Und ich hab mit diesem Typen gesprochen. Mit diesem Zauberer. Ich hab ihn gesehen. Also wenn die Leiche im Queen's Wood Davey ist und dieser Typ, den ich gesehen habe, derjenige ist, bei dem Davey die Handschellen geklaut hat ...« Sie ließ ihn den Gedanken zu Ende führen.
Was er auch sogleich tat: »Dann sollte er lieber ein Alibi für letzte Nacht haben. Ja, in Ordnung, Barbara. Ich kann Ihre Schlussfolgerungen nachvollziehen.«
»Und er ist es, Sir. Davey. Das wissen Sie.«
»Der Leichnam? Ja, das glaube ich auch. Aber ohne die Formalität können wir nicht weitermachen. Ich kümmere mich darum.«
»Und soll ich ...?«
»Fahren Sie zum Stables Market. Stellen Sie eine Verbindung zwischen diesem Zauberer und Davey her, wenn Sie können. Sobald Sie sie haben, bringen Sie ihn zum Verhör.«
»Ich glaube, wir haben den ersten richtigen Durchbruch geschafft, Sir.«
»Ich hoffe, Sie haben Recht«, antwortete Lynley.
17
Barbara Havers nahm die Leuchthandschellen mit zum Stables Market, der - wie der Name schon sagte - in einem riesigen alten Artilleriestall aus verrußten Ziegeln lag. Er befand sich parallel zur Chalk Farm Road, aber sie nahm den Eingang am Camden Lock Place und erkundigte sich gleich im ersten Geschäft nach dem Zaubereistand. Der Laden bot Möbel und Stoffe aus Indien an. Die Luft war schwer von Patschuli, und Sitarmusik dröhnte aus Boxen, die mit der Lautstärke überfordert waren.
Die Verkäuferin wusste nichts über einen Zaubereistand, aber sie nahm an, dass Tara Powell drüben im Piercing-Laden Barbara den Weg sagen konnte. »Tara beherrscht ihre Kunst«, erklärte die Verkäuferin. Sie selbst hatte einen Silberstecker in der Unterlippe.
Barbara fand den Piercing-Stand mühelos. Tara Powell entpuppte sich als fröhliche Mittzwanzigerin mit fürchterlichen Zähnen. Sie machte Eigenwerbung für ihr Geschäft mit einem halben Dutzend Löchern im Ohr und einem schmalen Goldring in der linken Augenbraue. Sie war gerade dabei, den Nasenflügel eines jungen Mädchens mit einer Nadel zu durchstoßen,
Weitere Kostenlose Bücher