13 - Wo kein Zeuge ist
Superintendent Lynley?«
»Die Sekretariatsgerüchteküche ist so effektiv wie eh und je«, merkte Lynley an. »Rufen Sie Stewart an, er soll die Einsatzzentrale leiten. Hale ist in Schottland, und MacPherson ist mit dieser Urkundenfälschungsgeschichte beschäftigt. Also lassen Sie sie außen vor. Und schicken Sie Winston zu mir, wenn er von Hillier zurückkommt.«
»Detective Sergeant Nkata, in Ordnung.« Wie üblich machte Harriman sich sorgfältig ihre Notizen auf einem Block mit Haftzetteln.
»Über Winnie wissen Sie auch schon Bescheid?«, fragte Havers beeindruckt. »So schnell? Haben Sie einen Spitzel da oben, Dee?«
»Jeder pflichtbewusste Polizeimitarbeiter sollte es sich zum Ziel machen, Informationsquellen zu pflegen«, erwiderte Harriman feierlich.
»Dann pflegen Sie doch mal jemanden jenseits des Flusses«, regte Lynley an. »Ich will das gesamte forensische Material, das unser Labor SO7 über die drei älteren Fälle hat. Dann rufen Sie alle Polizeiwachen an, in deren Revier die Opfer gefunden wurden, und lassen sich jeden Papierfetzen von jedem Bericht, jeder Aussage schicken. Havers, Sie hängen sich an den Nationalen Polizeicomputer. Stewart soll Ihnen mindestens zwei Constables überlassen, die Ihnen helfen können. Suchen Sie sämtliche Anzeigen der letzten drei Monate heraus, in denen Halbwüchsige vermisst gemeldet wurden. Sagen wir ...« Er sah die Fotos an. »Zwischen zwölf und sechzehn Jahren sollte reichen.« Er tippte auf das Foto des jüngsten Opfers, des Jungen mit dem verschmierten Make-up im Gesicht. »Und ich denke, den hier sollten wir mal der Sitte zeigen. Eigentlich sollten wir das mit allen tun.«
Havers folgte der Richtung, in die seine Gedanken gingen. »Wenn es Stricher sind, Sir, sagen wir, Ausreißer, die im Milieu gelandet sind, könnte es sein, dass für keinen von ihnen eine Vermisstenanzeige vorliegt. Zumindest nicht aus dem Monat, in dem der Mord stattgefunden hat.«
»In der Tat«, stimmte Lynley zu. »Also werden wir uns wenn nötig rückwärts durch die Vermisstenanzeigen arbeiten. Aber mit irgendetwas müssen wir anfangen, also beschränken wir uns vorerst auf die letzten drei Monate.«
Havers und Harriman gingen hinaus, um sich an die ihnen übertragenen Aufgaben zu machen. Lynley setzte sich an den Konferenztisch und fischte seine Lesebrille aus der Innentasche seines Jacketts. Er betrachtete erneut die Fotografien, wobei er den Aufnahmen des letzten Opfers die meiste Zeit widmete. Er wusste, die Bilder konnten die wahre Abscheulichkeit des Verbrechens, die er vorhin mit eigenen Augen gesehen hatte, nicht darstellen.
Als er in St. George's Gardens angekommen war, wimmelte die sichelförmige Grünanlage vor Detectives, uniformierten Constables und KTU-Leuten. Der Pathologe war noch vor Ort und hatte sich zum Schutz gegen den grauen, nasskalten Tag in einen senffarbenen Anorak gehüllt. Der Polizeifotograf und -videograf hatten ihre Arbeit gerade beendet. Vor dem hohen, schmiedeeisernen Tor des Parks begannen sich die Gaffer zu versammeln, weitere Schaulustige verfolgten das Geschehen von den Wohnungen jenseits des Garagenhofs aus: Die sorgfältige Suche nach Fingerabdrücken, die gründliche Untersuchung eines herrenlosen Fahrrads, das unter einer Minerva-Statue lag, das Einsammeln der Silbergegenstände, die um das Grab verstreut lagen.
Lynley hatte nicht gewusst, worauf er sich einstellen musste, als er am Parktor seinen Dienstausweis zeigte und dem Pfad folgte, bis er die Kollegen erreichte. »Ein möglicher Serienmord« hatte es in dem Anruf geheißen, den er erhalten hatte, und darum richtete er sich auf einen grauenvollen Anblick ein. Ein ausgeweidetes Opfer vielleicht, wie Jack the Ripper sie hinterlassen hatte, eine Enthauptung oder abgetrennte Gliedmaßen. Er hatte damit gerechnet, etwas Entsetzliches zu sehen, als er sich zu dem fraglichen Grab vorarbeitete. Womit er nicht gerechnet hatte, war etwas Unheimliches.
Aber genau das war dieser Leichnam. Etwas Unheimliches. Die linke Hand des Bösen. Ritualmorde waren ihm immer unheimlich. Und dass dieses Tötungsdelikt einen rituellen Hintergrund hatte, bezweifelte er nicht.
Die Aufbahrung des Leichnams deutete ebenso darauf hin wie das in Blut gemalte Symbol auf der Stirn. Ein ungleichmäßiger Kreis, von zwei Linien geviertelt, die an beiden Enden einen Querbalken aufwiesen. Eine Art Lendentuch sprach ebenfalls für diese Schlussfolgerung, ein seltsames, spitzenbesetztes Stück Stoff, das sorgsam
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