13 - Wo kein Zeuge ist
Akten gelegt und ihn nie mit einem Mordopfer in Zusammenhang gebracht, das anderswo entdeckt wurde. Ist es so gelaufen?«
»Jetzt verstehen Sie, warum sowohl behutsames Vorgehen als auch sofortiges Handeln angezeigt sind«, antwortete Hillier.
»Unbedeutende Morde, kaum der Ermittlung wert, und zwar aufgrund der Hautfarbe der Opfer. Das werden sie über die ersten drei Jungen sagen, sobald die Sache herauskommt. Die Boulevardblätter, die Fernseh- und Radionachrichten, das ganze verdammte Pack.«
»Wir beabsichtigen, dem zuvorzukommen. Genau betrachtet hätten die Boulevardblätter, die seriösen Zeitungen, Radio und Fernsehen selbst hinter diese Sache kommen und uns auf der Frontseite kreuzigen können, wären sie nicht immer so mit der Jagd nach Skandalen bei den Promis, den Politikern oder der verdammten Royal Family beschäftigt. So aber können sie uns schwerlich institutionellen Rassismus vorwerfen, nur weil wir nicht entdeckt haben, was sie selbst zu entdecken versäumt haben. Seien Sie versichert, als die Pressesprecher der jeweiligen Polizeiwachen die Mitteilung über den Fund der Opfer herausgegeben haben, hat die Presse sie als nicht nachrichtenfähig abgetan, und zwar wegen der Opfer: nur wieder irgendein toter schwarzer Junge. Wer will das schon wissen. Keine Schlagzeile wert.«
»Bei allem Respekt, Sir«, wandte Barbara ein. »Das wird die Medien nicht hindern, über uns herzufallen.«
»Das werden wir ja sehen. Ah.« Hillier lächelte überschwänglich, als seine Bürotür sich wieder öffnete. »Hier kommt der Gentleman, auf den wir gewartet haben. Ist der Papierkram erledigt, Winston? Dürfen wir Sie schon ganz offiziell Sergeant Nkata nennen?«
Die Frage traf Barbara unerwartet wie ein Schlag. Sie schaute zu Lynley, doch der hatte sich erhoben, um Winston Nkata zu begrüßen, der an der Tür stehen geblieben war. Im Gegensatz zu ihr hatte Nkata seiner Kleidung die übliche Sorgfalt angedeihen lassen. Alles an ihm wirkte geschniegelt und gebügelt. In seiner Gegenwart - in ihrer aller Gegenwart - fühlte Barbara sich wie Aschenputtel vor dem Besuch der Fee.
Sie stand auf. Sie war im Begriff, ihrer Karriere den Todesstoß zu versetzen, aber sie sah keinen anderen Ausweg ... außer dem Weg hinaus, den sie nun einschlug. »Winnie«, sagte sie zu ihrem Kollegen. »Super. Glückwunsch. Ich hab's gar nicht gewusst.« Und dann zu ihren beiden anderen Vorgesetzten: »Mir ist gerade eingefallen, dass ich einen wichtigen Anruf erledigen muss.«
Und damit ging sie hinaus.
Lynley verspürte einen beinah unbezähmbaren Drang, Havers zu folgen. Gleichzeitig erkannte er jedoch, dass es klüger war, zu bleiben. Vor allem wusste er, dass er ihr eher dadurch helfen würde, wenn es wenigstens einem von ihnen gelang, bei AC Hillier nicht vollends in Ungnade zu fallen.
Das war bedauerlicherweise nie einfach. Der Führungsstil des Assistant Commissioner war irgendwo zwischen machiavellistisch und despotisch angesiedelt, und rationale Menschen machten einen möglichst großen Bogen um Hillier. Lynleys direkter Vorgesetzter - Malcolm Webberly, der jetzt schon seit einiger Zeit krankgeschrieben war - hatte lange Zeit als Puffer fungiert und Lynley und Havers den Rücken freigehalten, seit er sie zum ersten Mal zusammen auf einen Fall angesetzt hatte. In Webberlys Abwesenheit von New Scotland Yard war es nun an Lynley, zu berücksichtigen, aus welcher Richtung der Wind wehte.
Die gegenwärtige Situation stellte Lynleys Vorsatz, im Umgang mit Hillier stets neutral zu bleiben, auf eine harte Probe. Vorhin hätte der AC reichlich Gelegenheit gehabt, ihn von Winston Nkatas Beförderung in Kenntnis zu setzen. Etwa als er sich geweigert hatte, Barbara Havers wieder in ihren alten Rang zu befördern.
Was Hillier indessen mit einem Minimum an Höflichkeit gesagt hatte, war: »Ich will, dass Sie diese Ermittlung leiten, Lynley. Interim Superintendent ... Ich kann den Fall kaum jemand anderem übertragen. Malcolm hätte ohnehin gewollt, dass Sie das übernehmen, also stellen Sie das Team zusammen, das Sie brauchen.«
Lynley hatte fälschlicherweise angenommen, der brüske Ton des AC liege in dessen Betroffenheit begründet. Superintendent Malcolm Webberly war immerhin Hilliers Schwager und Opfer eines Mordanschlags geworden. Er war mit einem Auto angefahren und lebensgefährlich verletzt worden, sodass sich Hillier zweifellos um seine Genesung sorgte. Also fragte Lynley: »Wie geht es dem Superintendent, Sir?«
»Jetzt
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