13 - Wo kein Zeuge ist
waren die Taufgewänder seiner Familie seit fünf, wenn nicht seit sechs Generationen verwendet worden, um kleine Lynleys in den Schoß der anglikanischen Kirche zu führen, und insofern waren sie Teil der Familientradition. Andererseits sahen die Kleidungsstücke allmählich auch so aus, als hätten fünf oder sechs Generationen kleiner Lynleys sie getragen. Auf der anderen anderen Seite - falls diese Angelegenheit denn drei Seiten haben konnte - war jedes der Kinder der fünf Clyde-Schwestern in den nicht ganz so betagten Gewändern der Clydes getauft worden, und so wurde dort gerade eine Tradition begründet. Es wäre schön, sie aufrechtzuerhalten. Also, was war zu tun?
Helen hatte Recht. Es war genau die Art von idiotischer Situation, die drohte, alle Beteiligten zu verärgern. Irgendeine diplomatische Lösung musste her.
»Wir könnten behaupten, beide Päckchen seien auf dem Postweg verloren gegangen«, schlug er vor.
»Ich habe nicht geahnt, was für ein moralischer Feigling du bist. Deine Schwester weiß schon, dass ihr Päckchen angekommen ist, und abgesehen davon bin ich eine schlechte Lügnerin.«
»Dann muss ich es dir überlassen, eine salomonische Lösung zu finden.«
»Das wäre eine Möglichkeit, jetzt, da du es erwähnst«, bemerkte Helen. »Wir schneiden beide exakt in der Mitte durch, dann Nadel und Faden - und alle sind zufrieden.«
»Und obendrein wäre noch eine neue Tradition begründet.«
Sie betrachteten die beiden Taufgarnituren, dann schauten sie sich an. Helen grinste. Lynley lachte. »Das würden wir nie wagen«, meinte er. »Du wirst auf deine unnachahmliche Art und Weise schon eine Lösung finden.«
»Zwei Tauffeiern, vielleicht?«
»Du hast den Weg zur Erkenntnis bereits beschritten.«
»Und welchen Weg beschreitest du? Du bist früh auf. Unser Jasper Felix hat mich mit seiner Frühgymnastik in meinem Bauch geweckt. Welche Entschuldigung hast du vorzubringen?«
»Ich will Hillier erwischen, wenn ich kann. Die Pressestelle organisiert ein Treffen mit Medienvertretern, und Hillier wird Winston dort an seiner Seite haben wollen. Es wird mir nicht gelingen, ihm das auszureden, aber ich hoffe, ich kann ihn überzeugen, nicht so dick aufzutragen.«
An dieser Hoffnung hielt er auf dem ganzen Weg zu New Scotland Yard fest. Dort musste er jedoch feststellen, dass Kräfte am Werk waren, die selbst die Macht eines AC Hillier überstiegen, und große Pläne schmiedeten. Dies manifestierte sich in der Gestalt von Stephenson Deacon, dem Leiter der Pressestelle, der wild entschlossen schien, seine aktuelle Aufgabe und womöglich seine gesamte Existenz zu rechtfertigen. Er inszenierte AC Hilliers erstes Zusammentreffen mit Medienvertretern regelrecht, das offenbar nicht nur Winston Nkatas Anwesenheit an Hilliers Seite erforderte, sondern auch den Aufbau eines erhöhten Podiums vor dem Hintergrund eines geschlossenen Vorhangs, ein Union Jack kunstvoll am Bildrand drapiert, und ebenso detaillierte Pressemappen, die so zusammengestellt waren, dass sie eine verwirrende Menge an Desinformationen enthielten. Hinten im Konferenzsaal hatte man einen Tisch aufgestellt, der verdächtig danach aussah, als sollten dort Erfrischungen dargeboten werden.
Lynley betrachtete all dies resigniert. Welche Hoffnungen er auch immer gehabt hatte, Hillier zu einer subtilen Vorgehensweise zu überreden, sie waren gründlich zunichte gemacht worden. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit hatte nun die Zügel übernommen, und deren Leiter war nicht Hillier unterstellt, sondern dessen Vorgesetztem, dem Deputy Commissioner. Die niederen Ränge - darunter auch Lynley - waren offenbar zu Rädchen im großen Getriebe der Public Relations degradiert. Lynley erkannte, dass das Einzige, was ihm zu tun übrig blieb, war, Nkata nach Kräften vor diesem Rummel zu schützen.
Der neue Detective Sergeant war schon dort. Man hatte ihm gesagt, wo er während der Pressekonferenz sitzen und was er sagen sollte, wenn die Journalisten Fragen an ihn richteten. Lynley fand ihn wütend auf dem Korridor. Die karibische Färbung seiner Sprache - Erbe seiner Mutter - war in Stresssituationen immer besonders deutlich zu hören.
»Ich hab diesen Job nicht angenommen, um hier den dressierten Affen zu machen«, sagte Nkata. »Mein Job ist nicht, dafür zu sorgen, dass meine Mum meine Visage sieht, wenn sie den Fernseher einschaltet. Er denkt, ich bin blöd, das denkt er. Ich bin hergekommen, um ihm zu sagen, dass ich das nicht
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