13 - Wo kein Zeuge ist
ahnte, dass dies nur entfernt mit den toten Jungen von Colossus zu tun hatte.
»Vielleicht waren Sie zu abgelenkt, um zu merken, dass die Jungen vermisst wurden«, sagte Bensley.
»Ich war nicht mehr abgelenkt als sonst, hatte lediglich viel zu tun mit den Plänen für die Eröffnung der Niederlassung in Nordlondon und dem damit einhergehenden Spendensammeln«, antwortete Ulrike. Was ich auf Ihre Anweisung hin getan habe, fügte sie nicht hinzu, doch sie tat ihr Bestes, es durchklingen zu lassen.
Bensley zog indessen nicht die Schlüsse, die sie beabsichtigt hatte. »Wir haben eine etwas andere Version gehört«, sagte er. »Sie waren auch noch anderweitig abgelenkt, nicht wahr?«
»Wie ich bereits sagte, Mr. Bensley, es gibt kein Patentrezept für diese Arbeit. Ich habe versucht, allen Aspekten die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die man in leitender Stellung in einer Organisation wie Colossus zu berücksichtigen hat. Wenn mir entgangen ist, dass einige Jungen ausgeblieben sind, lag es an der zu großen Zahl der organisatorischen Belange. Ehrlich gestanden bin ich erschüttert, dass keiner von uns« - und sie legte eine diskrete Betonung auf das Wort keiner -, »bemerkt hat, dass ...«
»Lassen Sie mich ganz offen sein«, unterbrach Bensley. Mrs. Richie setzte sich auf ihrem Stuhl zurecht, eine Hüftbewegung, die besagte: Jetzt kommen wir endlich zur Sache.
»Ja?« Ulrike faltete die Hände.
»Wir werden so etwas wie eine Revision durchführen - ich finde kein besseres Wort dafür. Ich bedaure, Ihnen dies sagen zu müssen, Ulrike, denn alles in allem schien Ihre Arbeit für Colossus immer tadellos.«
»Schien«, wiederholte Ulrike.
»Ja. Schien.«
»Bin ich entlassen?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber Sie sollen wissen, dass Sie unter Beobachtung stehen. Wir werden ... nennen wir es, eine interne Untersuchung durchführen.«
»Weil Sie kein besseres Wort dafür finden?«
»Wenn Sie so wollen.«
»Und wie soll diese interne Untersuchung vonstatten gehen?«
»Mit einer Revision und mit Befragungen. Lassen Sie mich sagen, dass ich glaube, Sie haben im Großen und Ganzen gute Arbeit geleistet hier bei Colossus. Und lassen Sie mich hinzufügen, dass ich persönlich hoffe, Sie werden unbeschadet aus dieser Untersuchung Ihrer Arbeitsleistung und Ihres persönlichen Verhaltens hervorgehen.«
»Mein persönliches Verhalten? Was genau soll das heißen?« Mrs. Richie lächelte. Mr. Bensley räusperte sich. Und Ulrike wusste, dass sie schlechte Karten hatte.
Sie verfluchte Neil Greenham, aber ebenso sich selbst. Sie wusste genau, wie viele Federn sie lassen würde, wenn es ihr nicht gelang, den Status quo in entscheidender Weise zu ändern.
32
»Führen Sie zwei Gegenüberstellungen durch.« Mit diesen Worten hatte Detective Inspector Stewart die Nachricht kommentiert, dass Hamish Robson den Mord an Davey Benton, aber sonst nichts gestanden hatte. »Sowohl Minshall als auch Masoud sollen ihn sich ansehen.«
Barbaras Meinung nach waren zwei Gegenüberstellungen pure Zeitverschwendung, da Barry Minshall Robson ja bereits anhand des Fotos, das sie aus Esther Robsons Wohnung hatte mitgehen lassen, identifiziert hatte, wenn auch nur zögerlich. Aber sie bemühte sich, die Sache mit Stewarts Augen zu sehen: nicht als Ausdruck der zwanghaft übertriebenen Gründlichkeit, für die er bei Scotland Yard berüchtigt war und die ihm den Ruf eines nervtötenden Pedanten eingebracht hatte, sondern als kleines Erdbeben, das Robson so verschrecken sollte, dass er zu weiteren Geständnissen bereit wäre. Die Situation, in einer Reihe von Männern zu stehen und darauf zu warten, ob ein unsichtbarer Zeuge mit dem Finger auf einen zeigte und einen irgendeines Verbrechens bezichtigte, war entnervend. Das zweimal über sich ergehen lassen zu müssen und somit zu begreifen, dass es noch einen weiteren Zeugen für Gott weiß was gab ... Unter dem Strich war das eine wirklich hübsche Idee, das musste Barbara Stewart zugestehen. Also veranlasste sie, dass Minshall zum Revier am Shepherdess Walk gefahren wurde, und sie stand mit ihm vor dem Einwegspiegel, als der Zauberer Robson auf Anhieb erkannte und sagte: »Das ist der Mann. Das ist zwei-eins-sechs-null.«
Barbara hatte das Vergnügen, zu Robson zu sagen: »Einen hätten wir schon mal, Freundchen« und ihn dann zappeln zu lassen. Dann saß sie herum und wartete auf Muwaffaq Masoud, der eine Ewigkeit brauchte, um mit der Piccadilly Line von Hayes in die Stadt zu
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