13 - Wo kein Zeuge ist
Handbremse anzog und den Motor ausschaltete, sagte Havers, dass ein Bentley vielleicht nicht gerade das Auto war, mit dem man sich in diese Gegend wagen sollte.
Lynley konnte nicht widersprechen. Er hatte nicht richtig nachgedacht, als Havers in der Tiefgarage an der Victoria Street vorgeschlagen hatte: »Warum nehmen wir nicht meine Möhre, Sir?« In dem Moment hatte er nur den Wunsch verspürt, die Kontrolle über die Dinge zurückzugewinnen, und ein Weg, dieses Ziel zu erreichen, war, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und jedes Gebäude zu bringen, das den Assistant Commissioner der Polizei beherbergte. Er hatte nur daran gedacht, wie er diesen Abstand am schnellsten herstellen konnte. Doch jetzt sah er ein, dass Havers Recht gehabt hatte. Es ging nicht so sehr darum, dass sie sich in Gefahr brachten, indem sie mit einem teuren Wagen in eine Gegend wie diese fuhren, sondern vielmehr darum, dass sie damit eine völlig überflüssige Aussage über sich selbst trafen.
Auf der anderen Seite bedeutete der Wagen, dass sie nicht gleich Gott und der Welt verkündeten, was sie waren, tröstete er sich. Doch dieser Illusion wurde er sogleich wieder beraubt, als er ausstieg und den Bentley abschloss.
»Die Bullen«, murmelte jemand, und die Warnung machte schnell die Runde, bis alle Gespräche in der Raucherecke verstummt waren. So viel also zum automobilen Inkognito, dachte Lynley.
Als hätte er es ausgesprochen, antwortete Havers leise: »Es liegt an mir, Sir, nicht an Ihnen. Diese Jungs hier haben ein Bullenfrühwarnsystem. Sie wussten sofort, wer ich bin, als ich vorhin hier war.« Sie schaute ihn an. »Aber Sie können sich als mein Fahrer ausgeben, wenn Sie wollen. Vielleicht können wir ihnen ja doch noch Sand in die Augen streuen. Fangen wir doch mal mit einer Kippe an. Sie können mir Feuer geben.«
Lynley warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie grinste. »War nur so 'ne Idee.«
Sie bahnten sich einen Weg durch die schweigsame Gruppe und kamen zu einer Eisentreppe an der Rückseite des Gebäudes. Am oberen Ende der Treppe befand sich eine breite grüne Tür mit einem polierten Messingschild, auf dem das Wort »Colossus« eingraviert war. Ein Fenster darüber gewährte einen Blick auf eine Reihe Lampen an der Decke eines Flurs. Lynley und Havers traten ein und fanden sich in einem Raum, der eine Mischung aus Galerie und bescheidenem Geschenkartikelladen zu sein schien.
Die Galerie bot eine bebilderte Geschichte der Organisation: ihre Gründung, die Sanierung des Gebäudes, das sie beherbergte, und ihre Wirkung auf die Bevölkerung der Umgebung. Die Geschenkartikel - die nur in einer einzigen Vitrine ausgestellt waren - waren relativ preiswerte T-Shirts, Sweatshirts, Baseballkappen, Kaffeebecher, Schnapsgläschen und Briefpapier, die alle das gleiche Logo trugen. Dieses zeigte den mythologischen Namensgeber der Organisation, umgeben von Dutzenden winziger Figuren, die seine gewaltigen Arme und Schultern als Weg benutzten, um vom Elend zur Erfüllung zu gelangen. Unter dem Riesen stand im Halbkreis das Wort gemeinsam, und Colossus bildete den zweiten Halbkreis darüber.
In der Glasvitrine stand auch ein signiertes Foto des Herzogs und der Herzogin von Kent, die irgendeine Veranstaltung der Organisation als königliche Schirmherrn beehrt hatten. Das Bild stand offenbar nicht zum Verkauf.
Jenseits der Vitrine führte eine Tür in den Empfangsbereich. Dort fanden Lynley und Havers sich augenblicklich von drei Individuen beäugt, die verstummten, sobald die Neuankömmlinge eingetreten waren. Zwei der Anwesenden - ein schlanker, ziemlich junger Mann mit einer EuroDisney-Baseballkappe und ein vielleicht vierzehnjähriger gemischtrassiger Junge - spielten Karten an einem niedrigen Tisch zwischen zwei Sofas. Der dritte - ein riesiger junger Mann mit gepflegtem kurzem Rotschopf und einem spärlichen Bart, der säuberlich getrimmt war, die Aknenarben auf den Wangen aber nur unzureichend verdeckte - saß hinter der Rezeption, ein türkisfarbenes Kruzifix baumelte an einem Ohrläppchen. Er trug ein Colossus-Sweatshirt, hatte auf der ansonsten perfekt aufgeräumten Rezeptionstheke einen Kalender aufgeschlagen, in den er Einträge mit blauem Kugelschreiber machte. Leise Jazzmusik säuselte aus den Lautsprechern über ihm. Er wirkte nicht besonders freundlich, als sein Blick auf Havers fiel. Lynley hörte Barbara seufzen.
»Ich muss dringend was an meinem Image tun«, murmelte sie.
»Vielleicht sollten Sie erwägen,
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