13 - Wo kein Zeuge ist
achtundvierzig Stunden vor seiner Ermordung stattgefunden hatte.
»Blöder Arsch«, sagte Veness und schob die Kladde beiseite. »Der kapierte einfach nicht, wenn sich ihm eine Chance bot. Das Problem ist, die Kids sind zu ungeduldig, um zu warten, bis es sich auszahlt. Einige jedenfalls, nicht alle. Sie wollen das Ergebnis, aber nicht den Weg, der zu dem Ergebnis führt. Ich nehme an, den sehen wir hier nicht wieder. Wie ich sagte, das passiert.«
»Er wurde ermordet«, klärte Lynley ihn auf. »Das ist der Grund, warum er nicht mehr hergekommen ist.«
»Aber das hatten Sie ja schon selbst rausgekriegt, oder?«, warf Havers ein. »Warum sonst haben Sie von Anfang an in der Vergangenheitsform von ihm gesprochen? Und warum sonst sollten die Bullen hier bei Ihnen aufkreuzen? Und dann auch noch zweimal an einem Tag.« Wie Veness zuvor wies sie aus dem Fenster auf die Jugendlichen draußen. »Denn einer von denen hat doch bestimmt irgendjemandem hier drinnen erzählt, dass ich vorbeigeschaut hab, bevor Sie aufmachten.«
Veness schüttelte heftig den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung ... Nein. Nein. Ich wusste es nicht.« Sein Blick glitt zu einer Tür und einem dahinter liegenden Flur, von dem hell erleuchtete Zimmer abgingen. Er schien etwas abzuwägen, ehe er fragte: »Die Leiche drüben in St. Pancras? In dem Park?«
»Bingo«, sagte Havers. »Sie sind definitiv nicht auf den Kopf gefallen, Jack.«
»Das war Kimmo Thorne«, fügte Lynley hinzu. »Er ist einer von fünf Mordfällen, die wir untersuchen.«
» Fünf? He, also Moment mal. Sie können doch nicht glauben, dass Colossus ...«
»Wir ziehen keinerlei Schlüsse«, erwiderte Lynley.
»Verflucht. Tut mir Leid. Was ich gesagt hab, von wegen Hinschmeißer und Verlierer. Scheiße.« Veness nahm sein Wurstbrot, dann legte er es wieder beiseite. Er wickelte es ein und steckte es zurück in die Tüte. »Einige von den Kids verschwinden einfach, versteh'n Sie. Sie kriegen eine Chance, aber sie laufen trotzdem weg. Sie nehmen den Weg, der am einfachsten zu sein scheint. Es ist verdammt frustrierend, dabei zuzuschauen.« Er atmete hörbar aus. »Aber verdammt. Das tut mir Leid. Was stand denn in den Zeitungen? Ich lese sie nicht oft und ...«
»Sein Name wurde anfangs nicht veröffentlicht«, antwortete Lynley. »Nur die Tatsache, dass seine Leiche in St. George's Gardens gefunden wurde.« Er fügte nicht hinzu, dass die Chancen gut bis hervorragend standen, dass die Zeitungen sich nun mit Berichten über die Mordserie füllen würden: Namen, Orte und auch Daten. Ein junges weißes Opfer hatte die Aufmerksamkeit der Gazetten geschärft, und das schwarze Opfer, das heute Morgen entdeckt worden war, gab ihnen Gelegenheit, sich vom Verdacht des Rassismus' reinzuwaschen. Opfer aus den Gruppen ethnischer Minderheiten hatten einen geringen Nachrichtenwert, das war bei den ersten Mordfällen entschieden worden. Doch das hatte sich mit Kimmo Thornes Tod geändert. Und dann mit dem Tod des schwarzen Jungen ... Die Zeitungen würden die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, die vergeudete Zeit und die nicht wahrgenommene Verantwortung wieder gutzumachen.
»Der Tod eines Jungen, der mit Colossus zu tun hatte, wirft alle möglichen Fragen auf«, erklärte Lynley Jack Veness, »wie Sie sich zweifellos vorstellen können. Und wir haben ein zweites Opfer identifiziert, das möglicherweise ebenso eine Verbindung zu Colossus hatte. Jared Salvatore. Kommt Ihnen der Name bekannt vor?«
»Salvatore. Salvatore«, murmelte Veness vor sich hin. »Nein. Ich glaub nicht. Den hätte ich behalten.«
»Dann werden wir mit dem Leiter sprechen müssen.«
»Ja, ja, ja.« Veness kam auf die Füße. »Das ist Ulrike. Sie hält hier alle Fäden in der Hand. Warten Sie einen Moment. Ich sehe nach, ob sie ...« Mit diesen Worten hastete er zu der Tür, die ins Innere des Gebäudes führte, bog um eine Ecke und war verschwunden.
Lynley sah Havers an. »Das war ausgesprochen interessant.«
Sie gab ihm Recht. »Nicht gerade ein stilles Wasser, das wir erst mühsam ergründen müssten.«
»Den Eindruck habe ich auch.«
»Die Frage ist jetzt nur, wie viel er wirklich weiß«, sagte Havers.
Lynley griff über die Theke und nahm das Anwesenheitsregister, das Jack konsultiert hatte, und gab es Havers.
»Salvatore?«, fragte sie.
»Es ist eine Möglichkeit«, antwortete er.
10
Lynley und Havers stellten sehr bald fest, dass die Leiterin von Colossus nicht nur ebenso ahnungslos in Bezug auf Kimmo
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