1314 - Im Bann der schönen Nymphe
Situationen geraten. Aber sie hatten sich bewähren können, und es war immer gut ausgegangen. Genau daraus schöpfte Jenny Mason ihre Hoffnung. Alles war gut geworden, und auch für sie würde alles gut werden.
Sie richtete sich auf. Die Kleidung klebte klatschnass an ihrem Körper. Ihr Gesicht zeigte noch immer den staunenden Ausdruck.
Als sie über ihre nassen Wangen strich, blieben einige Wasserlinsen an ihren Handflächen kleben und auch wenige Blätter und etwas von dem grünen Schleim, der im Teich schwamm.
Jenny zitterte, als sie sich hinstellte. Sie fror auch, aber sie wollte noch einen letzten Blick auf den Teich werfen, bevor sie wieder zum Haus zurücklief. Amelie würde sich bestimmt Sorgen um sie machen, und wenn sie sah, wie nass ihr Schützling war, dann würden die Fragen auf sie herabstürmen.
Das Mädchen ging nicht zu dicht an den Teich heran. Es stemmte seine Hände gegen die Knie und beugte sich vor.
Nichts war mehr zu sehen.
Das Wasser lag ruhig vor ihr, abgesehen von ein paar Wellen, die zum Ufer hin ausliefen. Sie sah Jamilla nicht, und es schob sich auch kein grünes Skelett aus der Tiefe. Alles war einfach so wie immer, aber jetzt wusste Jenny es besser. Eigentlich hatte sie schon geahnt, dass mit diesem Teich etwas nicht stimmte und er ein Geheimnis verbarg. Nun aber hatte sie es am eigenen Leib erfahren müssen.
Eine Weile schaute sie gegen die Oberfläche. Dort tat sich wirklich nichts. Das Rätsel des Teichs blieb ihr weiterhin verschlossen. Wie eine dunkelgrüne Wand kam ihr das Wasser vor, und wenn sie daran dachte, was in der Tiefe lauerte, dann schauderte sie zusammen.
Sie strich ihr nasses Haar zurück. Ein Märchen war für sie zur Wahrheit geworden. Irgendwie hatte sie immer an Wunder geglaubt, nun aber war ihr eines begegnet.
Sie blies die Luft aus. Ihre Kleidung wog doppelt so schwer. Wie mit Leim bestrichen klebte sie an ihrem Körper fest. Das Zittern erfolgte ganz automatisch, und sie hörte, wie ihre Zähne aufeinander schlugen.
Selbst als Kind war ihr klar, dass sie jetzt weg musste. Hinein ins Warme, ins Trockene. So schnell wie möglich. Nur nicht mehr länger am Teich warten.
Es gab nur den direkten Weg durch den Wald. Den würde sie auch laufen. Es war ihre Strecke. Einen letzten Blick warf sie noch auf den Teich, dann lief sie los.
Diesmal hatte sie es eilig. Sie zitterte. Sie fror jämmerlich. Im Wald waren auch die letzten Strahlen der Sonne verschwunden. In diesen späten Nachmittagsstunden stand sie sowieso schon schräg auf ihrer Wanderung nach Westen.
Zunächst hörte sie die Frauenstimme nicht richtig, weil ihre eigenen Geräusche zu laut waren. Dann wehte ihr der Name Jenny entgegen, und sie wusste auch, wer sie da rief und sich so große Sorgen um sie machte. Es war Amelie, das Au-pair-Mädchen aus Deutschland.
Was soll ich ihr sagen?, schoss es Jenny durch den Kopf. Ich weiß es nicht. Ich kann ihr nicht die Wahrheit sagen. Sie würde mir nicht glauben. Ich muss das Geheimnis für mich behalten.
Jenny wollte auch nicht, dass man ihre Eltern anrief. Nein, nein, ihr würde schon die richtige Ausrede einfallen.
Der Wald kam ihr plötzlich so finster vor. Alles schien zu ihren Feinden geworden zu sein. Die Bäume, die Sträucher und vor allen Dingen die Wurzeln, die aus dem Erdboden hervorschauten und glitschige Stolperfallen bildeten.
Dass sie noch nicht gefallen war, verdankte sie ihrem Glück. Bei den hastigen Schritten tanzte die Welt vor ihren Augen, aber sie sah auch das Licht am Ende dieser grünen Welt. Die Dichte des Waldes verlor sich, und wieder schallten ihr die Rufe entgegen.
»Jenny – Jenny! Wo bist du? Bitte, Jenny, melde dich doch! Lass mich nicht im Stich. Jenny – Jenny!«
Sie hätte sich gemeldet, wenn die Kraft vorhanden gewesen wäre. Durch ihr Keuchen war sie nicht in der Lage, einen Ruf auszustoßen, und deshalb hielt sie den Mund.
Aber der Wald hatte auch ein Ende. Große Lücken taten sich auf.
Sie schaute auf den Park, der zum Haus gehörte. Darin wuchsen nur wenige Bäume, und es lagen große Abstände dazwischen. Viel Rasen, der unbedingt gemäht werden musste und durch das hohe Gras huschte eine Gestalt, die immer noch nach Jenny rief.
Das Mädchen verließ den Wald. Es blieb keuchend stehen und hob mit schwachen Bewegungen beide Hände, um zu winken.
Sie hatte Erfolg, wurde entdeckt.
»Jenny!«
Jetzt glich der Ruf mehr einem Schrei der Erlösung. Amelie stand für einen Moment auf der Stelle wie jemand,
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