1314 - Im Bann der schönen Nymphe
trank mit kleinen Schlucken. Auch jetzt schaute es Amelie nicht an. Der Blick war ins Leere gerichtet. Gedanklich schien sie nicht präsent zu sein. Mit seiner Fantasie bewegte sich das Kind wieder in anderen Regionen.
Amelie bedrängten zahlreiche Fragen. Komischerweise traute sie sich nicht, sie zu stellen. Sie glaubte an eine Abfuhr. Jenny war schon immer etwas verschroben oder anders gewesen, weil sie sich eben von den Märchen hatte faszinieren lassen, heute kam sie ihr jedoch besonders weggetreten vor.
Sie trank langsam und schaute dabei gegen die Zimmerwand.
Manchmal bewegte sie auch die Lippen, ohne ein Wort zu sagen.
Sie schien wirklich weggetreten zu sein.
Als die Tasse leer war, lehnte sie eine zweite ab.
»Dann lass ich dich jetzt allein.«
Jenny Mason lehnte sich zurück. »Ja, das ist gut.«
»Wenn was ist, ruf mich.«
»Klar, Amelie, klar.«
Das Kindermädchen beugte sich über Jennys Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie wollte ihr noch schöne Träume wünschen, doch das verkniff sie sich.
»Ich schaue noch mal nach dir.«
»Ja, tu das.«
Amelie verließ das Zimmer. Vor der Tür blieb sie noch für eine Weile stehen und schüttelte den Kopf. Irgendwas läuft da nicht rund!, dachte sie. Etwas stimmt nicht.
Leider kannte sie die Lösung nicht, und das empfand sie nicht eben als beruhigend…
***
Es war für uns wirklich kein Problem gewesen, das Haus zu finden.
Der Weg von der Straße zum Ziel hin war sogar gut zu befahren.
Darauf hatten die Bewohner Wert gelegt.
Birken und Ahornbäume rahmten die Strecke ein. Vielleicht Meter mussten wir fahren, bevor sich der Weg öffnete und freie Sicht auf ein etwas dunkles Haus gab, das auch deshalb so wirkte, weil die Fassade zum größten Teil durch Pflanzen bewachsen war, die ihr ursprüngliches Aussehen völlig verdeckten.
Das Haus und dessen vordere Umgebung sahen leer aus. Es gab kein Auto, das vor dem Haus stand. Wir sahen kein Bike und keinen Roller. Der Bau wirkte unbewohnt. Wir kannten andere Landhäuser, die schon kleinen Schlössern glichen. Hier traf das nicht zu. Es gab auch keine Erker oder kleine Türme. Eine Fassade, dazu ein Dach ohne Gauben und zwei klobige Schornsteine auf dem First. Hier hatte jemand zweckmäßig gebaut und nicht geprotzt.
Wir stiegen aus, und Suko hob die Augenbrauen an. »Ob uns das etwas bringt?«
»Sollen wir wieder fahren?«
»Nein. Ich wollte nur mal fragen.«
»Denk daran, dass es noch eine Rückseite gibt, von der unsere Freunde gesprochen haben.«
»Ja, ja, das weiß ich alles.«
Ich musste grinsen und ging auf die Eingangstür zu. Sie kam mir größer vor als die eines normalen Hauses. Wir sahen eine Klingel und meldeten uns an.
Zuerst passierte nichts. So unternahmen wir einen zweiten und sogar dritten Versuch.
Aus recht versteckt angebrachten Rillen drang eine Stimme. »Wer ist da?«
»Mach du es«, sagte Suko.
Ich stellte uns vor. Wir täuschten die Fragerin nicht. Irgendwie musste es meine Stimme geschafft haben, das Vertrauen in ihr zu wecken, denn wir hörten die positive Antwort.
»Warten Sie, ich öffne.«
Wir wurden nicht enttäuscht. Eine junge Frau stand vor uns. Sie trug eine khakifarbene Cargohose und ein blasses Hemd mit aufgesetzten Brusttaschen. Das Hemd war nicht in die Hose gesteckt worden. Es reichte bis über ihren Gürtel hinweg.
Ich hielt ihr meinen Ausweis entgegen, den sie zwar studierte, jedoch die Schultern zuckte. »Mit diesen Dokumenten kenne ich mich nicht so aus. Ich komme aus Deutschland und bin für ein Jahr hier angestellt.«
»Wie schön«, sagte ich in ihrer Sprache. »Woher denn?«
»Hamburg.«
»Tolle Stadt.«
»Sie sprechen aber gut Deutsch, Herr Sinclair.«
»Ich habe oft in Ihrem Land zu tun und habe Freunde dort. Aber hier sind wir in England.«
»Verstehe.«
Wir wechselten die Sprache wieder und folgten der aparten Person ins Haus. Wir erfuhren auch, dass sie Amelie Weber hieß. Blondes Haar, ein schlanke Gestalt mit sehr langen Beinen und einer leicht gebräunten Gesichtsfarbe.
Diese Erscheinung passte irgendwie nicht in das doch etwas düster anmutende Haus.
Eine hohe Decke. Braune Balken machte sie noch dunkler. Die Möblierung passte sich an. Es war so etwas wie ein kleiner Salon, denn hier gab es zwei Tische mit Sitzgelegenheiten. Für meinen Geschmack hatte man beim Einbau der Fenster zu sehr gespart.
Wir schauten uns recht auffällig um, was der Deutschen natürlich nicht verborgen blieb.
»Es kommt mir so vor,
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