1321 - Das Haus der Schatten
den Rover ausrollen. Hohe Laubbäume filterten das helle Sonnenlicht und spendeten Schatten.
»Wartest du schon lange?«, fragte ich.
»Nein, ich konnte ja rechnen.«
Ich schlug ihm zur Begrüßung auf die Schulter. »Wenn ich etwas näher darüber nachdenke, dann kann ich wohl davon ausgehen, dass wir nicht zu Sheila gehen und uns mit ihr auf die Terrasse setzen, um uns dort einen kühlen Drink zu genehmigen.«
»Du hast Nerven. Wir haben erst Vormittag.«
»Das weiß ich. Es gibt auch Drinks ohne Alkohol.«
»Stimmt allerdings.«
»Also nachher.«
»Genau.«
»Wo wohnt denn deine Nachbarin?«
»Wir müssen noch ein Stück die Straße hoch, und ich habe ein verflucht ungutes Gefühl.«
Bill wollte schon gehen, doch ich hielt ihn zurück. »Erklär mal einem Menschen, der nicht so auf dem Laufenden ist wie du, was es mit dieser Frau auf sich hat.«
»Sie heißt Linda Stone. Ich kenne sie vom Ansehen. Man sagt sich guten Tag, das ist alles. Sheila und ich haben sie auch mal auf einer Nachbarschaftsparty kennen gelernt und mit ihr einen Small Talk durchgezogen. Einen näheren Kontakt hat es zwischen uns nicht gegeben. Es gab keine Einladungen von Haus zu Haus. Man sah sich, und die Sache war erledigt.«
»Schön. Was habe ich damit zu tun?«
»Das sagte ich schon am Telefon.« Bill schaute mich an und schüttelte den Kopf. »Die Person wirft keinen Schatten. Die geht durch das Sonnenlicht, aber es fehlt der Schatten.« Er deutete zu Boden. »Schau uns an, bei uns ist er vorhanden, aber nicht bei ihr. Genau das ist ein Phänomen, das mir Probleme bereitet. Keinen Schatten, John. Wo gibt es das? Und warum ist das so?«
»Das weiß ich allerdings auch nicht«, erwiderte ich lahm.
Bill schaute mich an und schüttelte dabei den Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass du mir nicht glaubst.«
»Zumindest habe ich meine Probleme damit.«
Er tippte mir gegen die Brust. »Aber ich habe mich nicht getäuscht, John. Das musst du mir zugestehen. Und ich möchte dich als neutralen Zeugen dabeihaben.«
»Okay, Alter, schauen wir uns die Person mal genauer an.«
»Das werden wir auch tun.«
Wir konnten auf der Straßenseite bleiben und schritten an den Grundstücken entlang, auf denen sich die Häuser versteckten. Jeder hatte einen Garten angelegt. Sommerblumen, Hecken mit Rosen, die einen leichten Duft abgaben, das satte Grün der Nadelbäume, blühender weißer Jasmin und Vögel, die sich wie in einem kleinen Paradies fühlten.
»Was sagt eigentlich Sheila zu deiner Entdeckung?«
Bill hob die Schultern. »Sie ist zumindest nicht dagegen.«
»Aber auch nicht dafür – oder?«
»Sagen wir so, John, sie lässt mich in Ruhe. Ich soll meinen Part durchziehen. Eine Zeugin ist sie nicht gewesen. Das Phänomen ist nur mir aufgefallen.«
»Gut, wir werden sehen. Aber da gibt es noch etwas anderes, Bill. Sollte das alles tatsächlich zutreffen, stellt sich sofort eine Frage. Wie konnte es dazu kommen? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?«
»Nein.«
»Schade.«
»Ich wüsste auch keine Lösung.«
»Ach? Wirklich nicht?«
Er hörte die Ironie aus meiner Frage heraus. »Ich weiß, worauf du hinauswillst. Du denkst an Vampire, die ebenfalls keinen Schatten werfen und sich selbst auch nicht im Spiegel betrachten können. Ist das der Fall?«
»Treffer.«
»Für mich sind es keine Vampire. Oder eine neue Art davon, denn Linda Stone bewegt sich im Licht der Sonne, ohne dass sie einen Schatten hinterlässt. Zeige mir die Blutsauger, die sich frei im Licht der Sonne bewegen. Da hält sich sogar eine Justine Cavallo zurück. Außerdem besitzt sie keine Vampirzähne, denn das wäre mir schon aufgefallen. Diese Person ist ein anderes Phänomen. Vielleicht eines, das auch für uns völlig neu sein wird.«
»Das könnte tatsächlich so sein, wenn alles stimmt, was du gesagt hast, Bill.«
»In ein paar Minuten bist du schlauer.«
»Linda Stone ist zu Hause?«
»Klar. Ich habe sie ja angerufen und ihr angekündigt, dass wir sie besuchen.«
»Was hast du denn als Grund genannt?«
Bill lächelte breit. »Ihren Garten. Sie ist ein Gartenfan und freut sich immer, wenn sie mit jemandem darüber reden kann. Sie bezeichnet ihren Garten immer als kleine Seenplatte, denn sie hat auf dem Grundstück mehrere Teiche angelegt, die durch Holzwege miteinander verbunden sind. Es sieht da wirklich toll aus.«
Ich wollte mich überraschen lassen und brauchte wirklich nur noch ein paar Meter zu gehen, um das Gartentor zu erreichen,
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