1322 - Das Grauen von St. Severin
oder so etwas Ähnliches am Werk ist?«
»Das will ich Ihnen nicht weismachen, das ist so.«
»Dann beweisen sie es!«
»Sie müssen mir schon glauben. Es gab diesen Mönch schon einmal. Er konnte vernichtet werden, aber er wurde nachmodelliert und…«
»Durch einen perfekten Künstler. Hajo Becker kann man zu seiner Arbeit nur gratulieren. Sie ist einmalig. Sie ist starr, diese Figur und trotzdem steckt sie voller Leben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Dieses Leben kennen wir hier!«
Auf Hoffs Stirn entstanden einige Falten. Er brachte so seine Skepsis zum Ausdruck. Dann bückte er sich, um einen Blick in das Innere der Figur zu werfen.
Er sah nichts.
Nur die Schwärze, aber die schien ihn zu beeindrucken, denn zu seiner Frau gewandt sagte er: »Er hat Recht. Die Schwärze in dieser Figur ist wirklich beeindruckend.«
»Es ist die Nacht.«
»Nein, etwas anderes.«
»Bist du wirklich sicher?«
Hans Hoff zuckte mit den Schultern und sagte zugleich: »Das werde ich herausfinden.«
»Wie denn?«
Er lachte noch voller Stolz, um einen Moment später seinen rechten Arm in die Figur und damit in die Schwärze zu stecken.
Andreas Brass wollte ihn noch warnen. Es war leider zu spät, die Hand war bereits in der Schwärze verschwunden und in den folgenden Sekunden passierte etwas Unglaubliches.
Hans Hoff wurde in die innere Leere des Mönchs hineingezogen!
***
Das Bild war einfach schrecklich!
Auf der einen Seite so real, auf der anderen völlig an den Haaren herbeigezogen. Hoff hatte zwar seine Hand und auch einen Teil des Arms in die vordere Öffnung der Gestalt hineingestreckt, was nun geschah, ließ die Beobachter jedoch daran zweifeln, dass es freiwillig geschehen war.
Hoff bekam seine Hand nicht mehr zurück. Die Schwärze schien aus unzähligen Greifarmen zu bestehen, die um keinen Deut nachgaben. Sie hielten eisern fest, aber nicht nur das, diese Schwärze besaß eine Kraft, gegen die der Mensch nicht ankam.
Hoff stöhnte. Er kniete jetzt vor dem Mönch, weil er die gebückte Haltung hatte aufgeben müssen. Der rechte Arm verschwand immer mehr. Für die Zuschauer sah es so aus, als wäre er Stück für Stück abgehackt worden.
Hoff hatte sich nach links gedreht. Auf seinem Gesicht zeichneten sich die Empfindungen, und das erste Erstaunen und leichte Erschrecken verwandelte sich in ein Gefühl der Angst, das sich immer mehr verstärkte, denn ihm wurde die eigene Hilflosigkeit bewusst.
Er schrie auf.
Es war kein lauter Schrei. Eher ein Jammern. Dieser Laut reichte allerdings aus, um die Zuschauer aus ihrer Erstarrung zu reißen.
Zuerst passierte das bei Elke Hoff. Ihr wurde klar, in welcher Gefahr ihr Mann steckte.
Auch sie wollte seinen Namen schreien. Es gelang ihr nicht. Aus dem Mund drang ein Laut, der nur mühsam als Hans zu verstehen war. Die Augen der Frau zeigten einen Unglauben, wie man ihn selten sieht. So wie sie konnte eigentlich nur jemand schauen, der vor einem toten Verwandten steht und dann mit ansehen muss, wie sich die Gestalt bewegt und einfach aufsteht.
Bei ihr war es der andere Fall. Hier stand keiner mehr auf. Hans Hoff wurde immer tiefer in diese Schwärze hineingezerrt, ohne sich dagegenstemmen zu können. Die Figur entwickelte in ihrem Innern eine übermenschliche Kraft.
Es waren nur Sekunden vergangen, doch den Zuschauern kam es vor wie eine kleine Ewigkeit. Als Erste löste sich Elke Hoff aus ihrer Erstarrung. »So helft doch!«, keuchte sie. »Verdammt noch mal, helft meinem Mann. Bitte… bitte …«
Sie selbst machte den Anfang. Auf den Knien rutschte sie ihm entgegen. Sie war eine schlanke Person. Ihre Kraft hielt sich in Grenzen. Allein konnte sie es nicht schaffen, und endlich hatten es auch die beiden anderen Zuschauer begriffen.
Sie konnten Hoff nicht sterben lassen. Wenn er in die Fänge dieser unnatürlichen und dämonischen Finsternis geriet, war sein Leben verwirkt. Sie mussten alles tun, um es zu retten, und jetzt packten sie zu dritt zu.
Den rechten Arm sahen sie schon nicht mehr. Er war bis zum Schulteransatz verschwunden. Der übrige Körper des Mannes berührte bereits den Mönch. Noch hatte er seinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung gedreht. Auf seinem Gesicht zeichnete sich das namenlose Entsetzen ab. Er sah aus wie jemand, der sich zwar gegen sein Schicksal stemmt, zugleich aber weiß, dass er nicht gewinnen kann.
Seine Helfer kämpften verbissen.
Sie keuchten, sie setzten an Kräften ein, was sie hatten. Zwei Frauen und ein Mann
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