1327 - Lady Sarahs Totenfrau
töten.
Auch sie waren mittlerweile weggeschafft worden. Nichts mehr deutete auf die Tat hin.
Es wurde mir wieder eng im Hals. Ich schaute in Sarahs Wohnzimmer. Dort hatte sich nichts verändert. Alles stand noch an seinem Platz und wartete darauf, dass die Horror-Oma jeden Augenblick zurückkehrte, um in ihrem Lieblingssessel Platz zu nehmen.
Nichts dergleichen würde geschehen. Kein Klirren ihrer Ketten mehr, kein hartes Aufschlagen des Stocks, keine Stimme, die mich als »Mein Junge« bezeichnete. All das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Und ich hatte es so geliebt.
Verdammt auch!
Hastig drehte ich mich um. Ich wollte nicht von den Erinnerungen übermannt werden. Aus dem Treppenhaus hallte mir Janes Stimme entgegen. »Kommst du hoch, John?«
»Ja, bin schon auf dem Weg.«
Das Bild hatte ich noch immer unter den Arm geklemmt. Etwas schwerfällig stieg ich die Stufen hoch. Über der ersten Etage lag noch eine zweite, und dort befand sich das große Archiv. Lady Sarah hatte wirklich alles gesammelt, was mit Grusel, Mythologie, Parapsychologie, Geschichte und Archäologie zu tun hatte.
Jane fand ich in ihrem Wohnzimmer. Sie stand am Tisch und hielt eine Lupe in der rechten Hand. Damit winkte sie mir zu. »Ich denke, dass wir uns das Bild mal aus der Nähe ansehen sollten.«
»Was willst du finden?«
»Die Verführung.«
Ich verzog nur die Lippen. Aber ich kannte auch meine Freundin Jane Collins. Wenn die sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie es auch durch.
Sie hatte einen Tisch freigeräumt. Ich wickelte das Bild aus der Decke und legte es dann mit der Rückseite auf den Tisch.
Bevor wir es näher untersuchen konnte, meldete sich mein Handy.
Es war Sir James, der wissen wollte, wie es uns beim Notar ergangen war. Ich gab ihm einen Bericht und ließ mein Erbe nicht unerwähnt. Den Rest sollte Jane ihm erzählen, die dies auch mit spröder Stimme tat und Sir James auch erklärte, dass sie in Lady Sarahs Sinn weitermachen würde.
»Das ist gut«, hörte ich Sir James sagen. »Jetzt, da der Schwarze Tod wieder zurück ist, können wir jede Hilfe gut gebrauchen.«
»Das meine ich auch, Sir.« Jane blickte mich fragend an, ob ich noch etwas sagen wollte, doch ich schüttelte den Kopf.
Jane gab mir das Handy zurück und griff zur Lupe. Ich trat zur Seite. Bevor sie sich in eine Kunstdetektivin verwandelte, sprach ich sie an. »Suchst du nach etwas Bestimmtem?«
»Ja.«
»Sehr gut. Wonach?«
Ohne sich aus ihrer gebückten Haltung zu erheben, sagte sie: »Ich habe hin und wieder von Bildern gehört, die man unter einem anderen Bild versteckt hat. Das erste Gemälde wurde in so einem Fall übermalt. Und es würde mich wirklich interessieren, ob ich auch hier so etwas entdecke. Es könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass Lady Sarah das Bild versteckt gehalten hat.«
»Nicht schlecht gedacht«, lobte ich. »Ein Bild unter dem Bild. Das soll es schon gegeben haben.«
»Das hat es schon gegeben.«
Ich hielt mich zurück. Ich wollte Jane nicht stören, die sich tiefer bückte und durch die Lupe schaute. Sie fing unten an, nahm die Richtung von links nach rechts und ging dann etappenweise höher.
Manchmal flüsterte sie etwas vor sich hin, was ich nicht verstand.
Ich fragte auch nicht nach, sondern ließ sie arbeiten.
Es vergingen fast zehn Minuten, bis Jane durch war und sich wieder aufrichtete.
»Was gefunden?«, fragte ich.
»Nein, leider nicht.«
»Also ist es normal.«
»So leicht gebe ich nicht auf.«
»Was hast du vor?«
»Warte.«
Sie ließ mich schmoren, ging aus dem Zimmer und betrat die Küche, in der sie nicht lange blieb, denn sie kehrte mit einem dünnen Federmesser zurück.
»He, was ist denn jetzt los?«
Jane hielt die schmale Klinge hoch. »Es ist dein Bild, John, und deshalb möchte ich dich zuvor fragen, ob du erlaubst, dass ich an der oberen Schicht kratze.«
»Du bist noch immer überzeugt, dass…«
»Ja, das bin ich.«
»Meinetwegen.«
»Überzeugend hat sich das nicht angehört.«
Ich winkte ab. »Das wird vielleicht noch kommen. Warte es ab.«
Das tat ich dann auch. Jane ging sehr behutsam vor. Ich hörte kaum ein Geräusch, als sie an der alten Farbe kratzte. Sie hatte sich auf die Bildmitte konzentriert, wo sich der Bischof mit seinem purpurnen Mantel befand.
Jane arbeitete verbissen und vorsichtig, bis sie plötzlich einen leisen Ruf ausstieß.
»Hast du was?«
»Und ob. Komm her!«
Plötzlich war auch ich von einer Spannung erfasst, die
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