1327 - Lady Sarahs Totenfrau
halten.
Suko kam immer näher.
Ich sah ihn genau. Er tat das, was ich von ihm erwartete. Während des Gehens hob er die Peitsche an und war so kampfbereit.
Auch davon ahnte Lysana nichts.
Suko wusste auch, dass ich meine Probleme hatte. Die Nebelgeister waren noch nicht verschwunden; sie wollten mich auch weiterhin mit ihrer Kälte erdrücken.
Ich konnte Suko ebenso wenig beistehen wie Jane Collins.
Das wusste er.
Er ging jetzt schneller. Auch Lysana schien zu merken, dass etwas auf sie zukam. Sie riss beide Arme in die Höhe und fing an, mit den Händen herumzufuchteln.
Sie lief Suko entgegen.
Und damit hatte sie einen Fehler begangen, den sie nicht mehr korrigieren konnte…
***
Ich kannte meinen Freund, und ich wusste auch, wie perfekt er die Peitsche beherrschte. Es sah so locker und so lässig aus, als er zuschlug, aber diese mächtige Waffe war für alle Dämonen absolut tödlich.
In der folgenden Zeit erlebte ich diesmal als Zuschauer alles überdeutlich mit.
Lysana lief direkt in den Schlag der Peitsche hinein. Kein Riemen verfehlte sie. Suko hatte leicht schräg geschlagen, und so umspannten die Riemen auch ihren Körper und hatten sich so weit gedreht, dass sie sogar eine Fessel bilden konnten.
Die Totenfrau wollte weg.
Das konnte sie nicht. Wenn sie sich bewegte, tanzte sie in ihren Fesseln. Suko stand dicht vor ihr. Er dachte gar nicht daran, die Riemen durch eine Drehbewegung von ihrem Körper zu lösen. Er wollte sie sterben sehen.
Zugleich bekam ich mit, dass sich etwas veränderte. Die Nebelwesen um mich herum zogen sich nicht nur zurück, sie lösten sich sogar auf, und ich hatte das Gefühl, ihre fernen und sehr leisen Schreie zu hören.
Die Kälte verschwand aus meinem Körper. Alles ging so schnell, dass ich eine gewisse Zeit brauchte, um es zu begreifen. Da waren die Begleiterinnen nur noch Fetzen, und auch die waren bald nicht mehr zu sehen.
Ich war frei.
Und ich nutzte die Freiheit. Mit einem Satz sprang ich über das offene Grab hinweg, um Suko endlich zu unterstützen. Es war jedoch nicht mehr nötig.
Seine Dämonenpeitsche hatte es geschafft. Zwar stand der Körper noch auf seinen Beinen, aber ich sah, dass er allmählich brüchig wurde. Als wäre eine Gipsfigur an bestimmten Stellen mit Säure Übergossen worden.
Lysanas Körper zerbrach. Jetzt erst sahen wir, dass sie trotz ihres Aussehens kein normaler Mensch gewesen war, denn ihm hätten die Riemen der Peitsche nichts getan.
Sie zerbrach in drei Teile.
Der Oberkörper kippte nach vorn, dass er auf den Lehmhügel fiel und in der recht weichen Masse stecken blieb. Die anderen beiden Teile fielen nach rechts und links weg.
Als ich wieder hochschaute, sah ich in Sukos lächelndes Gesicht.
»Egal, ob sie nun von den alten Sumerern abstammt oder von der Biene Maja, eine wie sie hat auf dieser Erde nichts zu suchen.« Er trat einige Male gegen die Reste, die so weich geworden waren, dass sie zu Staub zerfielen, begleitet von leisen, knirschenden Geräuschen…
***
Ich hatte mich von den Ereignissen noch nicht richtig erholt, als ich die anderen Freunde sah. Von ihnen hatte keiner den Friedhof verlassen, was mich letztendlich auch gewundert hätte. Aus einer sicheren Entfernung hatten sie alles mit angesehen und waren nun mehr als froh, dass der Spuk vernichtet war.
Auch Jane war wieder normal geworden. Sie hatte die gleiche innere Vereisung erlebt wie ich. Darüber mussten wir uns keine Gedanken mehr machen. Die nebelhaften Begleiterinnen der Totenfrau waren ebenso vernichtet wie sie selbst.
So hatten wir es geschafft, auch das letzte Rätsel um Lady Sarah Goldwyn zu lösen.
Wir waren die Sieger. Nur fühlten wir uns nicht als solche, denn Sieger lachen und freuen sich. Uns jedoch wäre das Lachen im Hals stecken geblieben, denn wir brauchten nur etwas zur Seite zu schauen, um in das offene Grab zu sehen.
Keiner von uns wollte so recht mit der Sprache heraus. Bis Sir James seinen Zylinder aufsetzte und uns zunickte. »Bitte, wir können das Grab nicht so lassen. Ich denke, dass wir die Pflicht und Schuldigkeit haben, es zuzuschaufeln. Für Lady Sarah brauchen wir keinen Totengräber. Oder?«
Es war niemand da, der ihm widersprach.
Das Werkzeug stand schon bereit. Wir fanden es in der Nähe.
Die Frauen schauten zu, aber wir Männer schaufelten, und auch Sir James machte mit.
Gestört wurden wir nicht, aber es war eine sehr traurige Arbeit, und das merkte auch der Himmel, der seine ersten Tropfen aus den grauen
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