1327 - Lady Sarahs Totenfrau
erworben hatte.
Sir William winkte ab. »Auch wenn ich es wüsste, ich hätte es sicherlich vergessen, weil es einfach zu lange her ist. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Sie hat es wohl auf einer ihrer Reisen erworben. Sarah ist sehr viel in der Welt herumgekommen. Auch in den östlichen Ländern, wenn Sie dabei an eine Ikone denken sollten.«
Ich war noch immer etwas misstrauisch. »Und Sarah hat das Bild tatsächlich mir vererbt? Nicht uns beiden?«
»Nur Ihnen, Mr. Sinclair.«
Das berührte mich schon seltsam. Mit einem derartigen Erbe hatte ich nicht gerechnet. Okay, ich würde das Geld bekommen, doch das war in diesem Fall zweitrangig. Das Bild schien mir viel wichtiger zu sein. Nicht ohne Grund hatte sie darauf bestanden, dass ich es bekam. Weil das so war, ging ich davon aus, dass ich es hier nicht mit einem normalen Gemälde zu tun hatte. Ein Gemälde schon, doch in ihm steckte etwas ganz anderes. Etwas, das sich in ihm verbarg und durchaus eine Gefahr darstellen konnte, sonst wäre Lady Sarah nicht so behutsam damit umgegangen.
»Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.« In der Stimme des Notars klang Bedauern mit. »Ich habe hiermit meine Pflicht getan. Es wird noch einiges an schriftlichen Dingen zu erledigen sein, was die Erbschaften angeht, aber das Bild nehmen Sie bitte mit.«
Wenn er das sagte, war es wohl besser, wenn wir uns daran hielten. So kann man also zu einem Bild kommen.
Es hatte nicht so »nackt« im Schrank gestanden. Es war in eine Decke eingewickelt worden, und Jane holte die Decke. Ich legte das Bild mit dem Rücken auf den Schreibtisch und wickelte es behutsam wieder ein.
Wo ich es hinhängen würde, wusste ich noch nicht. Ich wollte es zudem von einem Fachmann untersuchen lassen, der möglicherweise sein Alter bestimmte und vielleicht herausbekam, wer es gemalt hatte.
Ich klemmte mir das Erbstück unter den linken Arm. Zuerst verabschiedete sich Jane von dem Notar, der noch nach dem Termin der Beerdigung fragte, dann war ich an der Reihe, und er legte mir ans Herz, auf das Bild sehr genau zu achten.
»Ich bin kein Experte, Mr. Sinclair, aber ich spüre, dass es sehr wertvoll ist. Meiner Ansicht nach muss es von einem Künstler des späten Mittelalters geschaffen worden sein.«
»Das lässt sich bestimmt feststellen.«
»So denke ich auch.«
Mit diesen Worten waren wir entlassen und verließen das Büro.
Jane und ich waren sehr nachdenklich. Selbst die Abschiedsgrüße der Mitarbeiter erwiderten wir kaum. Unsere Gedanken kreisten einzig und allein um das Erbstück…
***
Es duftete so herrlich nach frischem Kaffee, aber in unseren Tassen schwamm Cappuccino. Daneben, auf einem Teller, lag jeweils ein frisches Croissant, zu dem ein Schälchen mit Konfitüre gereicht worden war.
Der Inhaber des Cafés war ein Deutscher, den Jane kannte, weil sie öfter hier saß, um eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. Hier wurde noch alles selbst gebacken, und das schmeckte man auch.
Laut Werbung griff der Besitzer dabei auf die Rezepte seiner Großmutter zurück, und die hatte etwas vom Backen verstanden.
Es schmeckte uns beiden. Trotzdem waren wir mit den Gedanken woanders. Wir aßen, tranken, schauten uns an, wobei Jane mehrmals den Kopf schüttelte, als könnte sie die Ereignisse, die hinter ihr lagen, nicht begreifen.
Erst als sie ihre Lippen von den letzten Krümeln gereinigt hatte, ergriff sie wieder das Wort.
»Bin ich jetzt reich, John?«
Ich hob die Schultern. »Fühlst du dich denn so?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich fühle mich so wie vorher auch. Auf der anderen Seite weiß ich, dass ein gewisser Reichtum verpflichtet. Das sage ich nicht nur so dahin, ich werde mich daran halten. Aber ich glaube auch, dass die Dinge bei Sir William in guten Händen sind. Sarah hätte ihm sonst all die Jahre nicht so vertraut.«
»Da hast du Recht.«
Sie wischte kurz über ihre Augen. »Es ist nur… ich meine, es wird nur so verdammt einsam für mich werden. Allein in diesem Haus. Lady Sarah war dort das belebende Element. Auch wenn ich oft unterwegs war, ich wusste immer, dass sich jemand im Haus aufhielt, und das tat gut.«
»Du kannst es dir ja noch überlegen.«
»Nein, nein, John, das werde ich auf keinen Fall. Ich bleibe dort wohnen, wirklich. Nur könnte ich mir vorstellen, dass noch eine zweite Person dorthin passt.«
»Und dabei hast du an mich gedacht?«
»Richtig, der Gedanke ist mir gekommen. Denke an deine Wohnung, die nicht eben das Gelbe vom Ei ist. Wenn du im
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