1335 - Mandragoros Liebeshexe
einigermaßen Halt, auch wenn sie leicht schwankte.
Der schnelle Griff in die Höhe!
Mit beiden Händen erfasste Gerda Simmons die Dachrinne. Sie merkte schon, dass die Kante in ihre Haut hineinschnitt, aber das musste sie hinnehmen. Es ging schließlich um ihr Leben.
Ein kurzes Zögern. Dann hatte sie es geschafft und ihren Widerstand überwunden.
Gerda zog sich hoch!
Auch jetzt war ihr Kopf nicht leer. Sie betete und zitterte darum, dass die Dachrinne auch halten würde. Wenn sie riss, war alles vorbei, und sie wartete schon auf ein verräterisches Knirschen, doch sie hatte Glück. Die Männer hatten die Hütte sehr stabil gebaut. Dass sich die Rinne unter ihrem Gewicht leicht durchbog, nahm sie hin.
Gleichzeitig suchte sie mit den Füßen Halt. Dabei kam ihr zugute, dass die Wand unter ihr nicht glatt war. Sie bestand aus den Holzbohlen. In den nicht ganz vermoosten Lücken dazwischen fanden ihre Fußspitzen immer für einen Moment Halt.
Gerda wusste nicht, wann sie zuletzt einen Klimmzug hinter sich gebracht hatte. Vielleicht als Kind oder als Jugendliche, aber sie hatte nichts verlernt und zog sich hoch.
Keuchend drehte sie sich zur Seite. Auf dem Bauch liegend, kroch sie auf das Dach. Sie hob den Kopf an, sah die leichte Schräge vor sich und wusste, dass sie sich darauf halten konnte. Auch wenn das Dach einen feuchten Film aufwies und schon leicht bemoost war.
Sie blieb auf dem Bauch liegen, keuchte und wartete darauf, dass sich ihr Körper erholte. Er war dabei, Glückshormone auszuschütten, die ihr verdammt gut taten.
Beinahe hätte sie gelacht. Aber so weit war es noch nicht. Sie hatte nur einen Teil der Fluchtstrecke überstanden und wollte zu diesem Zeitpunkt auch nicht darüber nachdenken, wie es weiterging. Es würde sich schon eine Möglichkeit ergeben, da war sie optimistisch.
Auch ihr Atem beruhigte sich wieder. Das Zittern hörte zwar nicht auf, aber sie konnte damit umgehen, und das allein zählte.
Gerda blieb nicht auf der Stelle liegen. Sie wollte hochrutschen und den Dachfirst erreichen. Dort musste sie überlegen, wie es weiterging.
Einige Male atmete sie schnaufend aus, als sie den First erreichte.
Vorsichtig richtete sie sich auf und kniete sich dann hin. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihr Gewehr mitgenommen hatte. Es hing noch über ihrer Schulter und war auch bei der Kletterei nicht abgerutscht.
Luft holen. Ausruhen. Sich erst mal fangen und dann überlegen, ob es überhaupt noch eine Chance für sie gab, dieser Hölle zu entfliehen.
Sie blickte sich um.
Viel war nicht mehr zu sehen. Der Tag war dabei, sich zu verabschieden. Eine ihr kalt vorkommende Dämmerung hatte jetzt die Regie übernommen.
Und wie sah es in der Umgebung der Hütte aus?
Gerda durchfuhr ein Schreck, als sie einen Blick dorthin warf.
Von der Lichtung war nichts mehr zu sehen. Der Wald hatte es tatsächlich geschafft und sich bewegt.
Nein, das stimmte auch nicht. Er war neu hinzugekommen. Die Pflanzen mussten sich aus dem Boden ins Freie gedrängt haben und hielten die Hütte nun umschlossen. Und das an allen vier Seiten, wie Gerda Simmons erkannte.
Plötzlich musste sie lachen. Es musste einfach raus. In ihrem Innern hatte es wie ein gewaltiger Druck gelegen, dem sie nichts mehr entgegensetzen konnte.
Sie saß auf dem First und lachte. Dabei wurde ihr Körper geschüttelt.
Das Lachen hallte nicht mal laut in den Wald hinein. Es sackte akustisch zusammen und veränderte sich dann, denn Gerda wurde die ganze Tragweite ihrer Lage bewusst.
Sie konnte nichts tun. Sie hockte da und kam sich vor wie auf einer Insel. Mit dem einen Unterschied, dass sich um sie herum kein Wasser bewegte, sondern die Büsche und Sträucher standen, die von oben gesehen eine dunkle Fläche bildeten, die sich weiterhin bewegte.
Bewegte?
Sie dachte darüber nach, und dann stockte ihr der Atem.
Der Wald wuchs!
Die Natur kannte keine Gnade. Sie würde sich das zurückholen, was man ihr genommen hatte.
Die Menschen hatten in diese Flora eine Wunde geschlagen. Jetzt heilte sie zu, und sie war auf ihre Art und Weise gnadenlos. Gerda gestand sich ein, dass mit dem Bau der Hütte ein Fehler begangen worden war, aber wer hätte gedacht, dass so etwas passierte? Noch jetzt war sie nicht in der Lage, eine rationale Erklärung dafür zu finden. Sie musste es hinnehmen und konnte es vor allen Dingen nicht aufhalten.
Aber wer, zum Henker, war überhaupt in der Lage, den wuchernden Wald aufzuhalten?
Die Frage quälte sie. Es gab
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