1337 - Krieg der Esper
war, sie zum Sprechen zu bringen. Ich nickte und sagte: „Du bist den Wissenden nun nicht mehr verpflichtet. Sie haben dich schwer enttäuscht. Du fühlst dich nicht mehr an die Schweigepflicht gebunden ..."
„Gar nichts verstehst du!" rief Dao-Lin erregt. „Wie leicht du doch zu durchschauen bist, Nikki Frickel! An Bord dieses Schiffes gibt es nur eine Person, die Verständnis für meine Lage hat ..."
Sie unterbrach sich, und ich hatte den Eindruck, daß sie ursprünglich noch etwas hinzufügen wollte, es sich dann aber anders überlegte.
Ich schwieg, weil ich doch nur das Falsche gesagt hätte.
Dao-Lin suchte meinen Blick, aber ich sah weg. „Ich habe mich die ganze Zeit über abgekapselt", sagte sie schließlich wie zu sich selbst. „Ich war völlig passiv. Die Wissenden haben verzweifelte Rufe an mich gerichtet, aber ich habe nicht geantwortet. Sie wissen, warum. Sie akzeptieren meine Einstellung, und ich glaube auch, daß sie ihren Fehler eingesehen haben."
„Du kannst aber nie wieder mehr zu einer der Ihren werden", warf ich suggerierend ein.
Dao-Lin schien mich gar nicht zu hören, unbeirrt fuhr sie fort: „Mein Schweigen hat aber nichts genützt. Die Wissenden können mich jederzeit aufspüren, sie wissen stets, wo ich mich aufhalte. Sie werden mich - und damit dieses Schiff - überall finden. Euch habe ich durch meine Passivität keinen Dienst erwiesen, Nikki Frickel. Das war auch gar nicht meine Absicht. Mein Schweigen war ein stiller Protest gegen die Selbsterrlichkeit der Wissenden."
„Ja, sie herrschen gottgleich über das Volk der Kartanin", murmelte ich zustimmend. „Und ich bleibe dabei, daß sie dich bei Abendrot über die Klinge springen lassen wollten. Du bist eine Rebellin, Dao-Lin, und es wird Zeit ..."
„Hör endlich auf, Verständnis zu heucheln", fiel mir die Kartanin wieder ins Wort. „Ich hatte bis jetzt eine hohe Meinung von dir und möchte sie bewahren können. Dir geht es doch nur darum, mir mein Wissen zu entreißen."
„Es gäbe Mittel und Wege, von dir alles zu erfahren, was du weißt", sagte ich. „Aber ich bin kein Folterknecht. Ich hoffe immer noch, daß du freiwillig redest. Nach allem, was vorgefallen ist, hast du keine Veranlassung mehr, die Wissenden zu schützen."
„Auch ich bin eine Wissende, werde es immer sein", erwiderte Dao-Lin. „Und mein Schweigen soll nicht den Clan schützen, sondern mein Volk. Das Geheimnis, hinter dem du herjagst, hat für dich keine Bedeutung. Es betrifft nicht dein Volk, sondern nur uns Kartanin. Wenn die Zeit gekommen ist, wenn mein Volk reif für die Wahrheit ist, dann wird es das gesamte sorgsam gehütete Wissen erfahren."
„Ich muß das leider etwas anders sehen, Dao-Lin", sagte ich. „Ich muß nämlich die Interessen der Galaktiker im Auge haben. Wenn ich sehe, welche Anstrengungen die Kartanin unternehmen, um in einer vierzig Millionen Lichtjahre entfernten Galaxiengruppe Kolonien zu errichten, dann frage ich nach dem Grund. Und wenn ich weiß, daß in diesen Galaxien die Ewigen Krieger herrschen, die unsere Heimatgalaxis in den Permanenten Konflikt verwickeln wollen, dann kann ich nicht an einen Zufall glauben. Und ich muß mich fragen, warum die Kartanin ausgerechnet im Herrschaftsbereich der Ewigen Krieger siedeln. Kokettieren die Kartanin mit der Hilfe der Ewigen Krieger? Wollen sie sich ihnen unterwerfen, sich mit ihnen für den Kampf gegen uns und die Maakar verbünden? Das alles sind Fragen von existentieller Bedeutung. Dazu kommt noch, daß die Kartanin aus ihren Kolonisationsbestrebungen ein Geheimnis von geradezu kosmischer Bedeutung machen.
Das macht neugierig, Dao-Lin, und es gibt Anlaß für alle' möglichen Spekulationen. So solltest du die Sache mal sehen." Dao-Lin-H'ay begann schallend zu lachen. Das irritierte rnich. Denn Kartanin lachen ganz anders als wir, und ihrem Lachen liegen ganz andere Motive zugrunde. Sie lachen nicht über Witze oder derbe Späße wie wir, ihr Lachen ist selten Ausdruck von Heiterkeit, sondern es hat tiefer greifende Ursachen, ist quasi eine akustische Reflexion starker Gefühlsregungen. „Ich kann dir versichern, Nikki Frickel, daß deine Befürchtungen allesamt unbegründet sind", sagte Dao-Lin, nachdem ihr Gefühlsausbruch abgeklungen war. „Dein Wort allein genügt mir nicht", sagte ich. „Nur die volle Wahrheit, die Preisgabe des Geheimnisses der Wissenden, könnte mich überzeugen."
Dao-Lin schüttelte bedauernd den Kopf. „Um das von mir zu erfahren, müßtest
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