134 - Befehle des Bösen
vorüber.
Die Narben waren verschwunden, seine buschigen Brauen und der Bart unversehrt, und auch die Wunden, die ihm die Fledermausgeschöpfe zugefügt hatten, waren verheilt, sein frackähnliches Gewand und das weiße Hemd schienen eben aus der Wäscherei gekommen zu sein.
„Nicht übel", freute sich Vigor, „gar nicht übel. Jetzt löse diese lächerliche Fußspange und nimm mir die Fesseln ab."
Die Fußspange öffnete sich, und Vigor stand rasch auf.
„Mit den Handschellen warten wir noch einige Zeit, mein Lieber."
„Dein Mißtrauen enttäuscht mich. Aber vorerst bin ich zufriedengestellt. Jetzt werde ich dir meinen Plan verraten. Du wirst mich vor Glück umarmen, schöne Dämonin."
Rebecca lachte. „Das werde ich sicherlich nicht tun. Sprich endlich."
Aufmerksam lauschte sie. Vigor skizzierte in groben Zügen seinen Plan, der Rebecca immer mehr gefiel, je länger sie darüber nachdachte.
Im kärglich eingerichteten Büro war das Radio eingeschaltet. Heinrich, Rauscher und Samek hockten hinter ihren Schreibtischen und waren in die Protokolle und Fotos vertieft. Sie warteten auf die Vier-Uhr-Nachrichten.
Im Augenblick ertrugen sie die schaurigen Klänge, die von Ü 3 ausgestrahlt wurden. Es handelte sich um das Gejaule eines Kastraten, der seinem Baby nachweinte, das mit einem Punk durchgebrannt war, der sich ein halbes Dutzend goldener Sicherheitsnadeln durch die Ohrläppchen gebohrt hatte.
Dann begannen die Nachrichten. Ein Flugzeugabsturz in Japan, ein Wirbelsturm in Florida, ein paar Spione in Bonn, der Bundeskanzler sagt der Korruption den Kampf an, der Handelsminister will mehr Geld für seine schwachbrüstige Partei, Erdbeben in Italien und die Wettervorhersage, die einen strahlend schönen Tag verhieß. Doch kein Wort über das Monster in der Wiener Kanalisation. Heinrich schaltete das Radio aus und brachte so das Geröchle eines Asthmatikers zum Verstummen, der zu Geigenbegleitung ein munteres Liedchen über den Weltuntergang angestimmt hatte.
„Kommt mal her, und seht euch die Bilder an, die ich ausgesucht habe."
Gehorsam blieben Samek und Rauseher neben Heinrich stehen.
Das erste Foto stammte vom Videofilm. Es zeigte die schleimigen Fäden, die das Mädchen in den schwarzen Leib schoben. Das zweite war von Karl-Heinz Huber. Die weit geöffnete Spitze war zu sehen, aus der die Beine eines Mannes ragten.
„Grauslich", meinte Georg Samek, der wieder an seine Tochter dachte.
„Darum geht es nicht. Vergleicht einmal die Fotos miteinander. Was fällt euch auf?"
„Auf dem einen hat das Biest an der Spitze Fäden, auf dem zweiten keine", meinte Rauscher. „Richtig", stimmte Samek zu.
„Was kann das für ein Geschöpf sein?" fragte Heinrich.
„Keine Ahnung", sagte Samek. „Ich bin kein Zoologe."
„Ich auch nicht", stellte Heinrich fest. „Reptil ist das Biest sicher keines. Ein Weichtier vielleicht?" „Dazu gehören Polypen, Muscheln und Schnecken", antwortete Rauseher. „Ich weiß nicht recht, das eine Foto erinnert ein wenig an einen Kraken, aber das haut nicht hin."
„Ein Riesenwurm vielleicht?" fragte Samek.
Heinrich wiegte den Kopf hin und her. „Für Würmer ist die Segmentierung charakteristisch. Davon ist nicht zu merken, die Oberfläche, besser gesagt die Haut ist glatt, weist keine Furchen oder Muster auf. Die Fäden erinnern mich an einen Tentakelkranz, wie ihn manche im Wasser lebende Würmer haben."
„Könnten auch Fangfäden sein", sagte Rauscher nachdenklich geworden. „Quallen haben doch solche Fäden, die oft zehn Meter lang sind."
„Verdammt noch mal, was ist es nun?" fragte Samek wütend. „Vielleicht ist es doch eine Schlange." „Unmöglich, Georg. Es hat keine Zähne, keine Zunge, keine Augen. Es ist vermutlich ein wirbelloses Tier, eine Mischung aus Wurm und Qualle."
„Darüber werden die Zoologen wochenlang eifrig diskutieren", sagte Rauscher.
Heinrich lehnte sich zurück. „Ich habe mir nochmals die Aufstellung der Zeugenaussagen angesehen. Die drei Kanalarbeiter sind während der Arbeit verschwunden. Das geschah am späten Nachmittag in irgendeinem Kanal. Gesehen wurde das Monster nur während der Nacht. Die meisten Tiere und Menschen verschwanden in der Zeit zwischen elf Uhr nachts und drei Uhr morgens."
„Das Monster liebt demnach die Dunkelheit."
„Grelles Licht schätzt es überhaupt nicht. Das Blitzlicht vertrieb es."
Heinrich schob die Fotos zur Seite und entfaltete eine große Karte, auf der die Kanäle und unterirdischen
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