1343 - Manons Feuerhölle
immer am schlimmsten. Sie gönnten ihr nichts. Nicht die Schönheit, nicht den Erfolg bei den Kerlen, nur den Tod.
Der Stoß in den Rücken trieb Manon der Türöffnung entgegen.
Ihre Sicht wurde jetzt besser, und so entdeckte sie ein bekanntes Gesicht unter den Gaffern.
Es gehörte dem Wirt, bei dem sie in Lohn und Brot gestanden hatte. Wobei sie immer satt geworden war, aber der Lohn hatte zumeist aus anderen Dingen bestanden. Mindestens einmal in der Woche hatte der Mann sie in seine Kammer geholt, wenn die Schwester nicht anwesend gewesen war. Da hatte Manon ihm dann zu Willen sein müssen.
Und jetzt?
Jetzt tat er nichts. Er schaute nur zu. Er würde sich hüten, ihr zur Seite zu stehen. Wer sich mit einer Hexe abgab, war ebenso verloren wie die Person selbst. Auch nach ihm würden die Flammen gierig greifen, um ihn zu vernichten.
Man hatte Manon nicht gefesselt, und so schaffte sie es, die Arme hochzureißen und ihren Kopf zu schützen. Wie viele Hände zuschlugen, wusste sie nicht zu sagen. Jedenfalls gelang es ihr, ihnen zu entwischen oder zumindest nicht am Kopf getroffen zu werden.
Die kalten Schneeflocken erwischten sie. Auf ihrer Haut schienen sie zu zischen, als wären sie auf heiße Steine gefallen. Kehlig klingende Befehle wurden geschrien. Die Schläge trieben sie immer weiter voran. Manon wollte auf keinen Fall zu Boden fallen, denn wenn das passierte, dann war einfach alles aus.
Kein Scheiterhaufen, dafür die alte Hütte. Wem sie gehörte, wusste niemand im Ort. Sie stand einfach nur da und erfüllte nicht mal eine Funktion. Tanzender Widerschein mehrerer Fackeln leuchtete sie an. So sah es aus, als würde sie sich bewegen.
Die Fackeln wurden von kräftigen Männerhänden gehalten. Ihre Gesichter wurden durch das Feuer verzerrt und waren nichts anderes als Fratzen.
Alle kannten Manon. Viele hatten sie schon angefasst. Noch im Nachhinein spürte sie ihre schwieligen Finger auf ihren Brüsten. Es war nicht die richtige Zeit, um Ekel zu empfinden. Sie durfte sich überhaupt keine Empfindungen mehr leisten. In den letzten Minuten ihres Lebens waren die Gefühle einfach ausgeschaltet. Sie lief wie ein Roboter, der seinen Weg durch eine leere Welt fand.
Nichts mehr war wie sonst. Alles hatte sich verändert, obwohl es nicht danach aussah. Die Menschen waren die Gleichen geblieben.
Ebenfalls verhielt es sich mit ihrer Umgebung.
Manon konnte nicht mal weinen. Ihr Inneres war zu. Es gab keine Gefühle mehr, auf die sie hörte oder hören konnte. Sie war nur noch eine Marionette, die fremden Kräften gehörte und noch immer nach vorn gestoßen wurde.
Die Hütte war nur noch ein paar Schritte entfernt. Die provisorische Gattertür stand bereits offen.
Der letzte Schlag trieb Manon Lacre hinein. Der Schnee peitschte dabei gegen ihr Gesicht. Die dicken Flocken nahmen ihr einen Teil der Sicht, dann hielt sie die Dunkelheit der Hütte umfangen.
Nur für einen Moment glaubte sie, sich mitten in der Nacht zu befinden, dann erlebte sie den zuckenden Widerschein der Flammen, der durch die Ritzen an den Hüttenwänden drang.
Manon drehte sich um.
Genau in dem Augenblick rammte jemand die Tür wieder zu. Es wurde trotzdem nicht dunkel, denn durch die Spalten tanzte der Schein des Feuers. Die draußen stehenden Weiber waren nicht mehr zu halten.
»Brennen soll sie! Brennen!«
Immer öfter wiederholten sie diese Wünsche. Für sie war es das Höchste, wenn Feuer aus einem Menschen ein Flammenbündel machte. Dann hatten sie ihren Triumph.
Noch wurde die Hütte nicht angesteckt. Aber die Männer mit den Fackeln kamen näher. Der Wind spielte nicht nur mit den Flammen, sondern auch mit dem Rauch, den sie absonderten.
Er trieb ihn durch Spalte der provisorischen Tür in das Innere und gegen das Gesicht der jungen Frau.
Manon musste husten. Sie riss wieder die Arme in die Höhe. Der Rauch war ätzend. Er biss nicht nur gegen ihren Mund, sondern auch direkt in die Haut hinein.
Trotzdem musste sie atmen. Sie drängte sich zurück. Dabei hustete sie, hatte auch den Wunsch, sich übergeben zu müssen. Sie beugte sich nach vorn, konnte dabei das eigene Gewicht nicht mehr halten und fiel auf die Knie. In dieser Haltung konnte sie noch etwas besser atmen.
Auch das würde bald vorbei sein, denn eine schrille Männerstimme brüllte den Befehl.
»Steckt die Hütte an! Lasst die Hexe brennen!«
Ein Johlen und Geschrei, wie es Manon noch nie in ihrem Leben gehört hatte, erreichte ihre Ohren. Die Augen waren
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