1343 - Manons Feuerhölle
weit aufgerissen. Der Mund stand ebenfalls offen. Sie sah die Feuerarme, die von allen Seiten nach dem alten Holz griffen. Es war feucht geworden, aber es brannte trotzdem, und auch die Schneeflocken konnten es nicht löschen.
Von vier Seiten huschte das Feuer auf Manon Lacre zu!
Eine Chance hatte sie nicht. Noch mal drehte sie sich auf der Stelle. Sie schaute dabei in alle Richtungen und sah nur noch eines.
Feuer!
***
Der Tod griff nach ihr. Und er würde schlimm sein, schreckliche Schmerzen würden sie quälen. Die Haut würde sich erhitzen, zusammenziehen, bis sie nur noch eine trockene Schicht war, die einfach von ihrem Gesicht gezogen werden konnte.
Manon hatte verbrannte Leichen gesehen. Sie hatten einen grauenhaften Anblick geboten, und ihr würde es nicht anders ergehen. Trotzdem stand sie nicht auf und unternahm nicht mal den Versuch einer Flucht. Sie starrte dem Feuer sogar entgegen, das sich aus zahlreichen brausenden, heißen Geistern zusammensetzte, die gefräßiger waren als die wildesten Raubtiere. Das Feuer würde von ihr nichts mehr übrig lassen. Vielleicht einen Ascherest zum Schluss, das war alles.
Es brauste heran.
Die Hitze wurde unerträglich. Manon wusste selbst nicht, weshalb sie dem Feuer plötzlich die Arme entgegenstreckte, als wäre es ein Freund, der begrüßt werden musste.
Und dann fasste es zu.
Nicht nur von einer Seite, sondern von allen. Manon kniete inmitten dieser Feuerhölle. Sie wartete darauf, zu verbrennen. In sich zusammenzusacken, zu zerschmelzen.
Nichts davon trat ein.
Das Feuer kam zu ihr. Es war heiß, aber sie spürte es kaum. Sie schaute an sich herab, und sie wusste, dass sie das Zentrum der Flammen bildete. Aber sie verging nicht. Das Feuer kroch in sie hinein. Es wollte sie nicht von außen vernichten, sondern von innen.
Zerstören wie Säure. Alles in seinen Bann schlagen.
Zerfressen…
Gluthitze zerstrahlte im Innern ihren Körper. Sie hätte längst zusammenbrechen müssen. Das trat nicht ein. Stattdessen kniete sie auch weiterhin.
Sie konnte sogar sehen und etwas erkennen. Der Blick war nach vorn gerichtet. Durch diese Tür war sie gekommen.
Und jetzt schaute Manon durch sie hinaus. Sie sah die Menschen dahinter, und sah, dass sie still geworden waren. Nichts taten sie mehr, obwohl ihr Augenmerk der jungen Frau galt. Sie mussten mit etwas fertig werden, was sie nicht begriffen.
Stimmen erreichten Manon. Sie hörte selbst die Männer kreischen wie alte Weiber.
»Warum verbrennt sie nicht?«
»Sie ist eine Hexe.«
»Der Teufel muss mit ihr im Bunde stehen.«
»Weg hier – weg!«
Manon hörte die Worte, aber sie war nicht in der Lage, das alles zu begreifen. Nur wurde ihr allmählich klar, dass sie für die Zuschauer etwas Besonderes war.
Warum?
Sie schaute auf ihre Hände und wunderte sich darüber, wie ruhig sie plötzlich geworden war. Ja, sie war etwas Besonderes, denn das Feuer hatte sie nicht so erfasst wie es hätte sein müssen. Es war zwar auf sie zugekommen, aber es hatte sie nicht verbrannt. Es war in sie hineingetaucht. Es hatte sich seinen Weg nach innen gebahnt und sie dabei so gut wie nicht beeinträchtigt.
Manon stand auf.
Selbst das schaffte sie.
Es war alles okay. Es war so wunderbar. Sie fühlte sich besser als sonst. Einfach herrlich. Das Feuer steckte in ihr. Es hatte ihr sogar Kaft verliehen. Die Meute vor dem Haus machte ihr keine Angst mehr. Rechts und links loderten die Wände. An ihnen huschten die langen Zungen in die Höhe. Sie hörte das Rauschen der Flammen.
Sie nahm den Wind wahr, der von ihnen erzeugt wurde und gegen sie schlug. Der Rauch hüllte sie ein wie einen Schleier. Selbst das machte ihr nichts aus.
Sie ging auf die Tür zu.
Schreie erreichten sie. Die Männer dort wichen zurück. Zuerst gingen sie normal. Dann aber flohen sie, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her, um sie in die finstersten Gefilde der Hölle zu zerren. In der letzten Zeit des Feuers war vieles anders geworden. Die Dinge hatten sich gedreht. Sie war nicht mehr das Opfer.
Genau dieses Wissen gab Manon Lacre Kraft. Sie dachte gar nicht daran, ihren Weg zu stoppen. Ihr sagte eine innere Stimme, dass es der Weg in die Freiheit war. Allerdings in eine besondere, in der sie eine neue Existenz erhalten würde.
Mehr schoss ihr nicht durch den Kopf. Es gab keine weiteren Gedankengänge. Sie tat, was sie tun musste, und so trat sie aus der Hütte ins Freie.
Die Gaffer flüchteten. Sie wollten nur weg. Das Phänomen, das sie hier
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