1344 - Fluchtburg der Engel
Engel sollen erkennen, dass sie hier willkommen sind.«
»Na gut, dann tu es. Hoffentlich haben wir hier mehr Glück. Ich würde es uns wünschen.«
»Ich auch.« Bevor Wilma Dorn ging, stellte sie noch eine Frage.
»Hat jemand inzwischen angerufen?«
»Nein, leider nicht. Es hat keine Nachricht von irgendeiner Seite aus gegeben.«
»Gut.«
Wilma wollte keine weiteren Fragen mehr stellen. Für sie war es wichtiger, endlich den Kontakt zu bekommen: Und sie glaubte fest daran, dass diese Nacht dafür ideal war. Ihrer Meinung nach hatten die Engel ihre ureigenen Sphären verlassen und hielten sich jetzt in den Dimensionen auf, in denen die Menschen lebten.
Flott wie ein junges Mädchen stieg sie die Treppe hoch. Erst als sie oben war, schaltete sie das Licht ein, und wieder floss ein gelber Schein durch den Flur, von dem die einzelnen Zimmertüren abzweigten.
Drei an jeder Seite.
Sechs Zimmer gab es.
Und bei allen Zimmern wollte Wilma die Fenster öffnen, um die entsprechenden Zeichen zu setzen.
In den Räumen roch es nicht muffig. Sie sahen auch nicht schmutzig aus. Beide Schwestern pflegten sie, obwohl niemand darin lebte. Es gehörte eben zu ihrem normalen Tagesablauf.
Die Zimmer waren allesamt gleich eingerichtet. Bett, Schrank, Stuhl, ein Waschbecken. Wer zur Toilette wollte, der musste sich eine der beiden schmalen Türen auf dem Gang aussuchen. Dort waren zwei Toiletten eingebaut, die noch eine altertümliche Ziehspülung besaßen und bei denen das Wasser aus den unter der Decke befestigten Kästen lief.
Jedes Fenster öffnete sie an den beiden Seiten so weit wie möglich. Die Rückseite nahm sich Wilma Dorn zuerst vor, dann ging sie dorthin, wo sie auch draußen gestanden und auf den Kontakt mit den Engeln gewartet hatte. Hier wollte sie bleiben und sie suchte sich das mittlere Fenster als Zielpunkt aus.
Davor blieb sie stehen. Mit den Oberschenkeln berührte sie die Innenseite der Fensterbank. Verändert hatte sich draußen nichts.
Nach wie vor zogen die trägen Dunstschleier lautlos dahin und verbargen alles, was sich in ihrer Nähe bewegte.
Rechts und links an den Seiten hielt sich Wilma fest, als sie sich nach draußen beugte. Wenn sich die Engel in der Nähe aufhielten, sollten sie jedenfalls sehen, dass sie erwartet wurden. Dass sie hier ihre Ruhestätte fanden.
Warten – wie schon so oft…
Es machte ihr nichts aus, denn sie wartete eben auf das Besondere, das es normalerweise nicht gab. Und sie war sicher, dass ihr Tun Erfolg zeigen würde.
Noch kamen sie nicht. Noch zeigten sie sich nicht, aber Wilma war sich sicher, dass sie bereits beobachtet wurde. Sie dachte an den Duft, den sie draußen erlebt hatte. Frühling, wenn alles in voller Blüte stand, wäre sie skeptisch gewesen, aber jetzt, wo die Natur in den Tiefschlaf gefallen war, gab es keine Blüten mehr, die diesen Duft abgegeben hätten.
Von ihrer Schwester hörte sie nichts. Linda war sicherlich schon zu Bett gegangen. Sie brachte einfach nicht die Geduld auf, um sich den Dingen zu stellen. Selbst dann nicht, nachdem sie Manon Lacre kennen gelernt hatte.
Etwas Wind strich an der Fassade vorbei. Irgendwo in der Dunkelheit raschelte auch Laub.
Der Wind strich vorbei – aber er hatte etwas hinterlassen, das Wilma sofort auffiel.
Wieder war es der Geruch, der in ihre Nase trieb.
Veilchen? Vanille? Oder eine Mischung aus beidem? Sie fand es nicht heraus. Ihr wurde nur klar, dass dieser Geruch mehr als unnormal war, obwohl sie ihn so einmalig und wunderbar fand.
Sie atmete ihn tief ein und schmeckte ihn sogar auf der Zunge.
Das verstörte sie leicht, denn derartig intensiv hatte sie den Duft noch nie wahrgenommen.
Sie waren da – und sie waren nah!
Wilma spürte die wahnsinnige Aufregung, die sie nicht mehr kontrollieren konnte. Nun war ihr richtig klar, dass der oder die Engel zu ihr zu Besuch kamen.
Noch war nichts zu sehen, aber Wilma starrte hinaus und sie konzentrierte sich dabei auf einen bestimmten Punkt, als wären die Wesen dort dabei, sich zu zeigen.
Noch kamen sie nicht…
Aber die Luft veränderte sich. Zwar blieben die Schwaden bestehen, nun aber kam es Wilma Dorn vor, als würden sie den Duft der Engel in ihre Nähe transportieren.
Nur den Duft? Wilmas Herz klopfte schneller. Die Aufregung hatte sie stumm wie ein Fisch werden lassen. Auch wenn sie jemand angesprochen hätte, sie wäre nicht in der Lage gewesen, auch nur ein Wort zu sagen.
Ja, es stimmte!
ER kam oder ES!
Kein Lichtschein erreichte
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