1344 - Fluchtburg der Engel
ging auf sie über, und so hoffte Wilma, dass sich ihr andere Welten eröffneten, in die sie hineinschauen konnte, einfach nur geleitet durch die Kraft des Engels.
»Mein Gott, das ist so wunderbar«, flüsterte sie und schloss die Augen, weil sie sich durch nichts ablenken lassen wollte. Nur der Engel und seine Botschaft waren wichtig, denn er würde ihr die Augen auf eine bestimmte Art und Weise öffnen.
So etwas hatte Wilma noch nie in ihrem Leben erlebt. Der große Friede oder die große Zufriedenheit war über sie gekommen. Er hatte alle Schlechtigkeiten der Welt hinweggespült. Es gab nur noch das Gute und Wunderbare, den Weg zum Himmel.
Wilma lächelte. Sie selbst hatte es nicht mal bemerkt. Es war ganz automatisch gekommen. Und dieses Lächeln zeigte einen wirklich glücklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht. So lächelte jemand, der etwas Wunderschönes zu sehen bekam.
Sie war glücklich und dachte nicht daran, wie gläsern das Glück auch sein konnte. Es bedurfte nicht viel, um es zerbrechen zu lassen und genau das trat bei ihr ein.
Plötzlich erwischte sie eine Ahnung.
Düstere Gedanken, dunkle Schatten, die auf ihrem Körper eine Gänsehaut verursachten. Wilma wusste nicht, was dies bedeutete.
Sie hatte noch immer Mühe, sich in dem nächsten Extrem zurechtzufinden. All das Schöne und Wunderbare war vergessen.
Eine böse Realität hatte sie wieder, aber die spielte sich in ihrem Kopf ab. Wilma erfasste nicht, was es bedeutete, aber das andere sorgte bei ihr für ein starkes Gefühl der Angst, die ihr Herz umklammerte und ihr das Atmen erschwerte.
Plötzlich machte ihr die Nähe des Engels Angst. Sie sah ihn nicht mehr als Freund an. Er war zu einem Feind geworden, der nichts Gutes mehr wollte. Es hatte die schnelle radikale Veränderung gegeben und einen Grund dafür kannte sie nicht. Wilma schaute auf ihre Hand. Noch immer hielt sie den Kontakt mit dem feinstofflichen Körper. Nur hatte sich dort etwas verändert. Das bekam sie zurück, obwohl die Gestalt selbst gleich geblieben war.
Die Angst nahm zu. Wilma schüttelte sich. Sie stöhnte auf. Plötzlich fing sie an zu weinen, obwohl sie es gar nicht wollte, aber da war die andere Kraft, die in ihr steckte und versuchte, sie fertig zu machen. Wollte das der Engel?
Wilma konnte sich dies nicht vorstellen. Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck der Verzweiflung an. So sehr sie es auch bedauerte, aber sie musste den Kontakt mit dem Engel abbrechen.
Sie zog die Hand zurück.
Sofort veränderte sich ihr Gefühlsleben. Sie war wieder normal.
Sie stand in ihrer bekannten Welt und war in der Lage, normal durchzuatmen. Der Engel hatte seinen Platz auf dem Bett nicht verlassen. Auch jetzt zeigte sich kein Abdruck auf der Decke, aber es war mit ihm trotzdem etwas passiert.
Es lag einzig und allein am Geruch des Engels. Dieser wunderbare Duft, der ihn begleitet hatte, war nur noch in Fragmenten vorhanden. Er war von einem anderen überlagert worden, der scharf und streng roch. Widerlich. Nach Verbranntem, aber auch nicht hundertprozentig danach. Wilma konnte sich keinen Reim auf dieses Phänomen machen. Sie tat das, was getan werden musste und lief zum Fenster, um zu sehen, ob der Geruch von draußen kam und dort etwas brannte.
Das war nicht der Fall. Keine Flammen erhellten die dunstige Welt. Alles blieb so wie zuvor.
Wilma Dorn zog sich vom Fenster zurück und wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre Engel-Euphorie war verflogen. Sie ahnte schon, dass es nicht so leicht war, mit diesen Geschöpfen den Kontakt zu halten. Die reagierten nicht wie Menschen, sondern völlig anders.
Man konnte sie nicht im Voraus berechnen.
Furcht durchzog sie. Ihre Blicke irrten umher. Sie suchte nach etwas, von dem sie selbst nicht genau wusste, was es war.
Für sie stand nur fest, dass die Engel so einfach nicht zu begreifen waren.
Das Zimmer kam ihr plötzlich unheimlich vor. Um sie herum breitete sich ein starker Druck aus, und sie wusste genau, dass sie etwas unternehmen musste.
Sie ging zur Tür. Erst dort drehte sie sich noch mal um. Der Engel oder das andere Wesen lag auf dem Bett. Nein, er schwebte darüber. Oder doch nicht?
Wilma war völlig durcheinander, und sie brauchte jetzt eine Basis, auf der sie weitermachen konnte und die ihr zudem den nötigen Halt gab. Den fand sie hier nicht.
Jetzt war es für sie besonders wichtig, dass sie nicht allein im Haus lebte. Wenn ihr jemand helfen konnte, wieder zu sich zu finden, dann war es ihre Schwester.
Zu ihr ging sie
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