1344 - Fluchtburg der Engel
ein helles Grau übergegangen.
Bewegte sich dort jemand?
Nein, Linda entdeckte nichts. Trotzdem blieb bei ihr ein leichtes Magendrücken zurück.
Wilma wartete an der Treppe. Etwas vorwurfsvoll sagte sie: »Ich dachte schon, du würdest nicht kommen.«
»Keine Sorge, ich lasse dich nicht im Stich.«
Wieder stiegen sie die Stufen hoch. Sie gingen wie Fremde, die sich in ihrem Haus nicht sicher fühlten, und als sie den Flur in der ersten Etage erreichten, da mussten sie beide erst mal tief Luft holen. Auf den ersten Blick hatte sich nichts verändert. Die Türen zu den Zimmern standen noch immer offen. Wenig später warfen sie einen vorsichtigen Blick in den Raum und betrachteten vor allen Dingen das Bett.
Ja, der Engel war noch da!
Er lag dort wie am vergangenen Tag. Bewegungslos auf dem Rücken. Für die Frauen wirkte er wie eine gemalte Gestalt, an den Umrissen stärker als im Innern.
Erleichtert schauten sie sich an und lächelten auch. Jetzt war es kein Problem mehr für sie, die anderen Räume zu durchsuchen. In jedem sahen sie das Gleiche.
Die Engel lagen dort auf den Betten wie Gestalten aus hauchdünnem Glas. Nicht das leichteste Zittern durchlief ihre Gestalten und der Vergleich mit Pupen kam ihnen in den Sinn.
Wilma fasste ihre Schwester an. »Sie haben uns angenommen«, flüsterte sie. »Es ist alles okay. Die Engel fühlen sich bei uns wohl. Ist das nicht herrlich?«
Linda lächelte. Allmählich verschwand ihr Misstrauen, denn sie hatte eine andere Vorstellung gehabt. Trotzdem bleiben Fragen bei ihr bestehen. »Und wie geht es weiter?«
»Das weiß ich noch nicht, Schwester. Es liegt ja nicht an uns, sondern an ihnen. Sie sind für sich selbst verantwortlich. Wir sind nur Menschen und können sie nicht beeinflussen. Was immer mit ihnen passiert, müssen sie selbst in die Wege leiten. Sie werden erschöpft sein. Sie brauchen Ruhe. Und wenn sie wieder zu Kräften gekommen sind, dann werden sie uns auch verlassen.«
»Kann sein.«
»Das kann nicht nur sein, das wird so werden. Mach dir mal keine Gedanken.«
Linda schaute versonnen in das Zimmer hinein. »Und trotzdem sind sie anders als Manon.«
»Das weiß ich.«
»Wieso denn?«
Wilma schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht allwissend, Schwester. Ich habe nur meine Vorstellungen und könnte mir denken, dass Manon erst noch auf dem Weg gewesen ist, um zu einem Engel zu werden. Das habe ich mir gedacht. Ob es stimmt, weiß ich nicht.«
»Ich habe Angst um sie.«
»Es wird sich alles aufklären. Komm jetzt mit nach unten. Wir sollten unsere Freunde allein lassen.«
Dagegen hatte Linda nichts. Obwohl nichts passiert war, wollte das ungute Gefühl in ihr nicht weichen. Sie kam sich vor wie auf einem Drahtseil laufend. Jeden Augenblick konnte sie kippen, aber das trat nicht ein.
»Ich werde mich meinen Engeln widmen«, erklärte Wilma. »Gerade jetzt habe ich richtig Lust.«
»Tu das.«
»Und was hast du heute vor?«
Linda winkte ab. »Keine Sorge, ich werde den Tag schon herumkriegen. Erst mal tue ich nichts.«
»Es sei dir gegönnt.«
Die Frauen trennten sich. Wilma Dorn verschwand in ihrem Hobbyraum. Linda betrat die Küche, ihren Lieblingsplatz. Sie setzte sich auf ihren Lieblingsstuhl, wo sie durch das Fenster nach draußen schauen konnte.
Da gab es noch immer den Nebel, der von keinem Wind vertrieben worden war. Er wirkte nicht mehr so bedrohlich wie in der Nacht. Er war heller geworden, und die Umrisse der Sträucher, aber auch der Weg waren jetzt besser zu erkennen.
Oben lagen die Engel.
Draußen wallte der Nebel.
Und wo steckte er?
Die Frau wusste es nicht. Sie kannte ihn auch nicht. Aber sie ging davon aus, dass es ihn gab. Es war ein Feind vorhanden, der es alles andere als gut mit den Engeln meinte.
Und er lauerte irgendwo im Nebel. Dort wartete er auf die Chance, zuschlagen zu können.
Linda schüttelte den Kopf. Sie begriff nicht, dass ihre Schwester so locker sein konnte. Eigentlich hätte sie viel mehr darüber nachdenken müssen. Aber was tat sie? Ging in ihr Zimmer und bastelte Engel. Irgendwie passte es auch zu ihr, denn sie war jemand, der das Leben leichter nahm, auch wenn es mal aus dem Ruder lief.
Die Frau merkte jetzt, dass sie in der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen hatte. Die Lider wurden plötzlich schwer und fielen ihr langsam zu. Ohne dass sie es wollte, schlief sie ein. Ihr Kopf sank nach vorn, und bevor sich Linda versah, war sie tief eingeschlafen.
Aber sie wurde wieder wach. Dabei schreckte
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