1349 - Chronik der Kartanin
durchkreuzten.
Diese Überlegungen habe ich aber erst angestellt, als ich mich mit den Meinen auf der Flucht befand. Auf dieser langen Reise hatte ich Zeit und Muße, über alles nachzudenken. Und erst damals kam ich zur Einsicht, daß ich in meiner Hybris, mich mit ESTARTU gleichzustellen, ihr Engagement zunichte gemacht hatte. Jetzt erst verstand ich, welches Opfer ESTARTU für die Völker von Hangay erbrachte, als sie ihre Mächtigkeitsballung verließ und aus ihrem angestammten Universum in das sterbende Universum Tarkan kam.
Ja, und ich könnte meine Erzählung sogar damit beginnen, als unser Universum seine größte Ausdehnung erreicht hatte und von nun an zu schrumpfen begann, denn in diesem Augenblick begann zugleich das langsame Sterben, die Entwicklung nahm den umgekehrten Verlauf, alles strebte dem Untergang entgegen.
Aber das wäre alles zu weit ausgeholt. Ich denke, daß mit obigen Erklärungen der Vorgeschichte genügend Platz eingeräumt wurde und ich damit beginne, wie wir uns mit der NARGA SANT auf dem Flug - auf der Flucht vor den Singuva - in diese 40 Millionen Lichtjahre ferne Galaxiengruppe befanden.
Es war für uns eine Zeit der Prüfung und für mich selbst die Zeit der inneren Einkehr. Darum ist es ein guter Einstieg.
Bald nach unserem scheinbar überstürzten Aufbruch aus Estartu, als es sich abzeichnete, daß wir vor einer Verfolgung sicher waren, richtete ich das Wort an die Besatzung der NARGA SANT.
Nach dem Ausscheiden der wenigen Zataras und der viele Hunderte zählenden Nakken bevölkerten die NAR-GA SANT noch 21 Rassen, uns Kartanin eingeschlossen. Von jedem dieser Völker gab es mehrere tausend Angehörige an Bord, von einigen mehr, von einigen weniger, je nach Aufgabenbereich.
Wir Kartanin waren mit der Verwaltung und Projekt-Koordinierung betraut, und da es keine Nakken mehr an Bord gab, hatten wir auch deren Aufgabenbereich übernommen, die Schiffsführung.
Die Vennok standen uns im Rang nicht viel nach, denn ihnen unterstand die gesamte Schiffstechnik, sie befehligten die Wartungskommandos, die sich aus den Vertretern von zwei anderen Völkern zusammensetzten, und waren für die periphere Ausrüstung zuständig.
Aus dem Volk der Gryolen rekrutierten sich die Mediziner, die Peergateter stellten die Soziologen und Psychologen, die Mamositu waren dafür verantwortlich, was unter dem Begriff. „Versorgung" zusammenfiel, und so weiter.
Da jedes Volk sein spezielles Aufgabengebiet hatte, es also auf der NARGA SANT eine recht strenge Spezialisierung gab, gehörte umfassendes Wissen über unsere Mission nicht zum Allgemeingut. Daher beschloß ich, nach dem Desaster in ESTARTUS Mächtigkeitsballung, die gesamte Mannschaft über das Vorgefallene zu informieren. Es herrschte darüber nämlich weitestgehend Unklarheit, und ich wollte der Bildung haarsträubender Gerüchte zuvorkommen. Die Realität war schlimm genug, aber nicht hoffnungslos.
Ich schaltete die Rundrufanlage ein, damit die rund 100.000 Passagiere der NARGA SANT mich alle hören konnten. Die Existenz von ESTARTU, wer sie war, brauchte ich ihnen nicht erst zu erklären. „Bevor die NARGA SANT zu diesem interuniversellen Flug aufbrach, da meldete sich ESTARTU noch einmal und hat mich auf die Problematik einer solchen Reise aufmerksam gemacht", begann ich. „Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Nakken die einzigen, die informiert waren. Es ist nämlich so, daß in jedem Universum andere kosmische Gesetze herrschen. In Meekorah, dem großen, auswärtsstrebenden Universum, aus dem ESTARTU kam - und wohin wir gelangten -, gibt es einen Moralischen Kode, der die kosmische Entwicklung steuert, der die verschiedenen Kräfte ausgewogen und konstant hält. Der Moralische Kode setzt die Gravitations-Konstante fest, bestimmt, wie hoch die Geschwindigkeit des Lichtes ist und den Wert der sogenannten Strangeness - nicht zu vergessen, die Psi-Konstante. ESTARTU hat uns nicht darüber aufgeklärt, ob auch Tarkan, die Schrumpfende, dem Diktat dieses Moralischen Kodes unterliegt oder gar eine eigene lenkende Kraft dieser Art besitzt. Aber sie ließ keinen Zweifel darüber, daß Tarkan einen von Meekorah verschiedenen Strangeness-Wert besitzt. Die Strangeness, so sagte sie, sei eine Konstante, durch die sich die verschiedenen Universen am augenfälligsten unterscheiden. Wesen unserer Entwicklungsstufe, die die Trennwand zwischen den Universen durchbrechen und in ein anderes überwechseln, unterliegen dem sogenannten Strangeness-Schock.
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