1349 - Lilians tödlicher Blumenzauber
sie etwas feindliches im Sinn hatte, aber die Gedanken des Vogelmädchens arbeiteten fieberhaft und erzeugten einen wahren Wirbel in seinem Kopf.
Wie konnte man bei dieser Kälte nur so leicht bekleidet durch den Wald gehen?
Diese Frage störte sie am meisten. Jeder normale Mensch hätte sich der Witterung entsprechend angezogen, weil er sonst erfrieren würde, aber diese schwarzhaarige Person machte nicht den Eindruck, dass ihr die Kälte etwas anhaben konnte.
Das war nicht nur seltsam, das sah Carlotta schon als unheimlich an. Sie wusste auch sehr genau, dass die Welt nicht immer so war, wie man sie mit eigenen Augen sah. Da lag schon etwas dahinter, das mit dem normalen Verstand nicht so leicht zu fassen war.
Wie auch dieses Erscheinen…
Carlotta war selbst nicht ›normal‹. Sie brachte Verständnis für all das auf, was aus dem Rahmen fiel, sogar für die Unbekannte, aber ihre Neugierde war nicht gestillt worden. Sie wollte herausfinden, wer diese Person war und ob sie auch sprechen konnte. Nur so konnte sie mehr über sie erfahren.
»Wer bist du…?«
Sie hatte die schlichte Frage gestellt und wartete mit Spannung auf die Antwort.
»Ich heiße Lilian…«
»Aha. Ich bin Carlotta.«
Lilian nickte, ohne etwas zu sagen.
»Und was… äh … machst du bei dieser Kälte hier im Wald? Kannst du mir das sagen?«
»Ich möchte dir etwas schenken, deshalb bin ich hier.«
»Danke, und was?«
»Diese Lilie hier.« Sie streckte Carlotta die Blume entgegen. Das Vogelmädchen wich etwas zurück und dachte daran, wie ähnlich »Lilian« der Blume »Lilie« war.
Das konnte Zufall sein, aber es konnte auch etwas dahinter stecken.
»Nimm sie bitte.«
Carlotta lächelte etwas verlegen. »Und dann?«
»Ich schenke sie dir doch.«
»Klar, das habe ich verstanden. Aber wie kommst du dazu, mir mitten im Winter eine Blume zu schenken? Dazu noch eine blühende? Das begreife ich nicht.«
»Ich möchte, dass du sie mit nach Hause nimmst. Sie soll so etwas wie ein Andenken sein.«
Lilian hatte sehr freundlich gesprochen, und Carlotta merkte, wie ihr Widerstand langsam wich. Sie hob ihre Schultern, als sie mit leiser Stimme sagte: »Na, wenn du meinst, dann kannst du sie mir geben. Ich freue mich.«
»Danke.«
Lilian legte die Blume in die Hände des Mädchens. Durch die Handschuhe war ihr Gewicht nicht zu spüren.
Carlotta wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie senkte den Blick und schaute sich jedes einzelne Blütenblatt genau an. Alles passte perfekt zusammen. Die Blüte sah aus wie ein wunderbare filigrane Malerei.
»Du musst sie hegen und pflegen, dann wird sie für dich zu einer Freundin werden.«
»Wirklich?«
»Ja. Sie wird wunderbar gedeihen, und denke immer daran, dass Blumen auch Lebewesen sind. So etwas darfst du niemals vergessen.« Zum ersten Mal lächelte Lilian, aber es war nicht zu sehen, ob sie es auch ernst dabei meinte.
Dann ging sie weg und ließ die noch immer überraschte Carlotta zurück. Sie stand da, die Blume lag auf ihrer Handfläche, aber den Blick hatte sie nicht darauf gerichtet. Der verfolgte Lilian, die sich umgedreht hatte und den schmalen Weg verließ. Sie wollte wieder zurück in ihren Wald gehen und tauchte auch sehr bald zwischen den Stämmen der Bäume unter. Sie ging dorthin, wo sich ein leichter Kältenebel gebildet hatte, trat dann hinein in diesen Dunst und verschwand aus Carlottas Blickfeld, als hätte sie sich aufgelöst.
Das Vogelmädchen wusste nicht, was es denken oder sagen sollte. Die Begegnung mit Lilian kam ihr wie ein Traum vor. Das genau war nicht der Fall, da brauchte sie nur auf ihre Handfläche zu schauen, wo das Geschenk der seltsamen Frau lag.
Es ist nicht gut, wenn man in starker Kälte steht und sich nicht bewegt. Das merkte auch Carlotta, denn die eisige Luft schaffte es, sich in sie hineinzubeißen.
Carlotta musste sich bewegen. Außerdem wollte sie nach Hause und Maxine so schnell wie möglich von dem berichten, was ihr hier im Wald widerfahren war.
Sie stieg wieder in den Sattel. Ihre Bewegungen waren längst nicht mehr so geschmeidig. Sie fühlte sich wirklich von der Kälte überfordert, und als sie über den Stoff ihrer Mütze strich, da knirschten kleine Eiskörner zwischen ihren Fingern.
Carlotta fuhr wieder an. Zuerst noch etwas steif, doch als sie den Waldrand erreicht hatte, klappte es besser. Sie trat heftig in die Pedale, zudem war der Weg von der Beschaffenheit her etwas besser geworden, und sie fuhr jetzt über
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