1349 - Lilians tödlicher Blumenzauber
benachrichtigen. Der Fall war etwas für ihn, den man den Geisterjäger nannte. Schon öfter hatte sie ihn hergeholt, wenn etwas passiert war, das aus dem Rahmen des Normalen fiel.
Und hier war etwas im Entstehen, bei dem sie nicht die Spur eines Überblicks besaß.
Stöhnend atmete sie tief durch.
Ich selbst kann nichts machen!, dachte sie und schüttelte den Kopf. Ich muss einem anderen Menschen Bescheid geben. Einem Arzt. Sie wusste schon, wen sie einweihen wollte. Einen älteren Kollegen, dem sie vertrauen konnte. Auf keinen Fall durfte die Tote schon beerdigt werden. Daisy musste so lange aufgebahrt bleiben, bis alle Untersuchungen beendet waren. Erst dann konnte man weitersehen.
Mit diesem Gedanken entschloss sie sich, die Leichenhalle zu verlassen.
Mit einer scharfen Bewegung drehte sie sich herum und schritt auf die Tür zu. Etwa die Hälfte der Strecke lag hinter ihr, als die Tür von außen geöffnet wurde.
Der Arbeiter betrat die Leichenhalle. Zum Glück ging er nicht schnell, so sah er nicht, was mit Daisy Corner geschehen war.
Maxine eilte ihm entgegen. Als der Mann die hastigen Echos der Schritte hörte, blieb er stehen.
»Keine Sorge, Mister, ich komme schon raus.«
»Ja, ja, ich wollte auch nur…«
Maxine drängte ihn zurück, was sich der Mann verwundert gefallen ließ. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und hatte auch nichts dagegen, dass Maxine die Tür schloss.
Die feuchte Kälte sackte über ihr zusammen. Sie musste zugeben, dass es in der Leichenhalle doch wärmer gewesen war.
»Haben Sie einen Schlüssel?«
»Klar«, sagte der Arbeiter, der noch immer recht verwundert war, »den habe ich.«
»Wunderbar. Dann schließen Sie bitte ab.«
»Das hätte ich sowieso getan«
»Und dann bringen Sie den Schlüssel bitte zur Polizei.«
Der Mann wollte etwas fragen. Sein Mund stand bereits vor Überraschung offen, als sich die Tierärztin es sich anders überlegte.
»Nein, doch nicht. Lassen Sie es bitte. Ich werde den Schlüssel an mich nehmen und ihn der Polizei bringen.«
»Aber das darf ich nicht.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte sie schnell. »Ich kenne die Vorschriften. Aber Sie können mitgehen. Wenn Sie dabei sind, ist alles in Ordnung.«
Maxine sah ein kümmerliches Lächeln auf den Lippen des Arbeiters. »Ich kann das eigentlich nicht verantworten. Da muss ich noch die Friedhofsverwaltung informieren.«
»Das machen wir von der Polizei aus. Ist das okay?«
»Ich weiß nicht…«
»Bitte, ich sage Ihnen das nicht zum Spaß.«
Der Mann spürte wohl, dass etwas passiert war, mit dem er seine Probleme bekommen würde. Er schaute an Maxine vorbei auf die Tür und fragte: »Was ist denn los?«
»Das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären.«
»Ist was mit der Leiche?«
»Ja.«
»Was denn?«
»Bitte, Sie…«
»Hat man sie geschändet?« Die Neugierde des Mannes war nicht zu stoppen. »So etwas soll es ja auch geben. Es laufen ja genügend Perverse in dieser Welt herum.«
»Das ist nicht passiert. Da können Sie ganz beruhigt sein. Sie werden sicherlich später erfahren, was ich entdeckt habe, aber jetzt sollten Sie meinem Vorschlag folgen.«
Der Mann winkte ab. »O Gott, o ja, ich weiß nicht, was ich machen soll. Eigentlich wollte ich nur einen ruhigen Job haben, und jetzt passiert das hier.«
»Es tut mir Leid, aber ich kann es auch nicht ändern. Geben Sie mir den Schlüssel, bitte.«
Der Mann konnte dem Blick nicht länger standhalten. »Aber auf Ihre Verantwortung.«
»Natürlich. Nur auf meine.«
»Okay, dann gut.«
Maxine Wells atmete erleichtert auf, als ihr der Arbeiter endlich den Schlüssel gab. Sie war auch fest davon überzeugt, das Richtige getan zu haben.
***
Das Vogelmädchen stand da, als wäre es am Boden festgeleimt worden. Was es hier erlebte, war alles andere als ein Traum. In dieser Kälte stand die nur dünn bekleidete Frau und hielt in ihrer Hand eine Lilie, die so weiß wie der Schnee leuchtete, wenn er frisch gefallen war.
Schwarzes Haar umrahmte ein blasses Gesicht, bei dem der Mund in einem kräftigen Rot geschminkt war und einen weiteren Farbtupfer in diesem Gesicht bildete. An der linken Seite fiel das schulterlange Haar fast über die gesamte Gesichtshälfte hinweg und verdeckte auch ein Auge. Das andere war zu sehen, und Carlotta schaute direkt hinein in die dunkle Pupille.
Nichts bewegte sich im Gesicht der jungen Frau. Sie gab sich weder freundlich noch feindlich. Sie verhielt sich neutral. Nichts an ihr wies darauf hin, dass
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